Nachtmahl im Paradies
raste er ihr hinterher. Er konnte sich nicht erinnern, wann er seine über alles geliebte Göttin das letzte Mal so wüst traktiert hatte, aber es ging nicht anders – es war ein Notfall erster Klasse. Er verschwendete keine Sekunde an den Gedanken, dass er auf Alfons treffen könnte, während er mit hundertsechzig Sachen die Landstraße entlangbretterte. Noch mal: Es war ein Notfall, das musste auch der Dorfpolizist verstehen. Gott sei Dank, der Himmel war ihm gnädig! Es dauerte keine zwei Minuten, und er hatte Catherine eingeholt. In der Ferne erkannte er das wuchtige Heck des Rovers. Wenig später war er direkt hinter ihr. Nun ging es ans Eingemachte. Es gab nur einen Weg, sie zu stoppen: Er musste sie überholen und dann langsam ausbremsen, indem er Schlangenlinien über beide Seiten der Straße zog. Zumindest hatte er das einmal in einem Actionfilm gesehen, und nun kam ihm dieses Wissen, das er bisher für vollkommen nutzlos gehalten hatte, wider Erwarten doch noch zugute. Theorie und Praxis würden in wenigen Sekunden die Klingen kreuzen.
Zu allem entschlossen, setzte Jacques zu einem Überholmanöver an, das möglicherweise das Gewagteste war, das die von himmlischer Ruhe und grüner Idylle verwöhnte Landstraße in der Normandie je zu sehen bekommen hatte. Wichtig war allein, sie nicht zu gefährden. Sein eigenes Leben bedeutete ihm nichts mehr – nicht, solange er Catherine nicht sicher heimbrachte.
Da sie gemessen an ihm relativ langsam – also im vorgeschriebenen Tempo – fuhr, musste er beim Überholen seine Geschwindigkeit sogar drosseln, um nicht wie ein Blitz an ihr vorbeizuschießen. Auf Augenhöhe mit ihr versuchte er, durch die heruntergekurbelte Scheibe Kontakt mit ihr aufzunehmen.
»Catherine!«, rief er.
Doch sie hatte offenbar bereits im Rückspiegel erkannt, mit wem sie es zu tun hatte, und sich dafür entschieden, ihn schlicht und einfach zu ignorieren. Sie tat, als würde sie ihn weder sehen – wild gestikulierend im Auto neben ihr auf der Gegenfahrbahn – noch ihn auch nur ansatzweise hören, obwohl ihre Scheibe ebenfalls halb heruntergelassen war.
»Catherine«, brüllte er erneut gegen den tosenden Fahrtwind an. »Bitte halt an. Es tut mir leid!«
Nun, endlich, reagierte sie. Während sie weiter geradeaus sah, fuhr lautlos ihre Scheibe hoch, und nur eine Sekunde später vernahm Jacques die tiefen brummenden Bässe lauter Musik, die selbst bei beschleunigter Fahrt aus ihrem Panzerschrank noch an sein Ohr drangen. Was nur bedeuten konnte, dass sie ziemlich aufgedreht hatte. Das galt im Übrigen nun auch für ihr Tempo: Sie gab Black Beauty mächtig die Sporen. Sie hatten in etwa dieselbe Stelle erreicht, an der ihr allererstes, im wahrsten Sinne des Wortes verunglücktes Zusammentreffen stattgefunden hatte, als er den Blick wieder auf die Straße richtete. Anlass dafür war eine weitere Reaktion Catherines: die sich plötzlich panisch weitenden Augen in ihrem nach wie vor anbetungswürdigen Gesicht! Völlig unvermittelt hatte sie es ihm doch noch zugewandt. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand jedoch, die sich vom Lenkrad gelöst hatte und auf den vor ihnen liegenden Asphalt wies, verhieß nichts Gutes.
Der uralte, schiefergraue 2 CV , auch als Ente bekannt und ebenso lahm unterwegs, war vielleicht noch zehn Meter von Jacques’ vorderem Nummernschild entfernt. Der Fahrer, ein winziger Großvater mit Baskenmütze, der kaum über das Lenkrad blickte, sah definitiv noch älter aus als sein Auto. Im Gegensatz zu Jacques jedoch fuhr der alte Herr, der sich entweder nicht im Geringsten an seinem nahenden Ableben zu stören schien oder aber schwer sehgestört war, auf der richtigen Fahrbahn.
Geistesgegenwärtig trat Jacques auf die Bremse und riss das Steuer nach rechts, um in einer wilden Schussfahrt direkt hinter Black Beautys entschwindendem Heck in dasselbe Kornfeld zu schießen, mit dem er bereits vor Wochen Bekanntschaft gemacht hatte. Dieses Mal jedoch mit weit unangenehmeren Folgen. Der Wagen überschlug sich. Einmal, zweimal, dreimal, bis er schließlich auf dem Dach liegen blieb. Jacques saß noch immer auf seinem Sitz, wenngleich kopfüber, und umklammerte das Lenkrad. Der Gurt hatte sich schmerzhaft in seine Haut geritzt, aber das war erträglich in Anbetracht des Gedankens, wo er nun wohl wäre, hätte er sich nicht angeschnallt, was bei ihm durchaus an der Tagesordnung war. Möglicherweise hatte eine innere Stimme ihm vorhin zu recht zugeflüstert, dass es eine gute Idee
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