Nachtmahl im Paradies
Jacques blickte besorgt um sich. Keine Spur von der grauen Ente. Der alte Herr hatte von dem Drama, das sich hier abspielte, offensichtlich nicht das Geringste mitbekommen und war einfach weitergefahren.
Da ging sie also hin, seine geliebte Göttin. Doch merkwürdigerweise verspürte er keinen Schmerz, nicht den geringsten. Der einzige Schmerz, der sich in sein Herz bohrte in diesem Augenblick, betraf die Person an seiner Seite: Catherine. Sie stand einfach nur da, Schweiß und Dreck in ihrem Gesicht, auf ihren nackten Armen und Beinen.
»Ich … weiß nicht, was ich sagen soll«, begann er. Er sagte es kleinlaut, aber in diesem Fall klang selbst kleinlaut noch zu laut.
»Wie wäre es mit ›Ich liebe dich‹?« Ihre Stimme klang trotzig, und sie hatte die Augen stur auf das Feuerwerk gerichtet.
Fragend blickte er sie an. Er konnte kaum glauben, was er da eben gehört hatte.
»Willst … du denn überhaupt noch, dass so jemand wie ich dich liebt? So ein Hornochse?«
Nun erst wandte sie sich ihm zu – mit einem Ausdruck im Gesicht, als wäre sie sich selbst nicht ganz sicher, ihrer ausgeprägten Tierliebe zum Trotz.
»Ja, ich liebe dich, Catherine«, sagte er und strich mit der Hand den feuchten Sand aus ihrem Gesicht. Streichelte eine Strähne, die ihr tief in die Stirn gefallen war. »Aber ich bin nur ein dummer Koch. Ich kann mit dem Kochlöffel umgehen, mit Worten dagegen … mit schönen Worten, meine ich, bin ich …«
»… übergefordert?«
Er nickte. Er liebte ihre Art zu sprechen, und er hoffte inständig, ihr Französisch möge für immer so bleiben, wie es war. Es war perfekt. Sie war perfekt. Doch er war blind gewesen und hatte es nicht erkannt. Aber nun konnte er wieder sehen. Das Erste, was er sah, war ein weißes Blatt Papier mit ihrer Handschrift. Es schwebte vor seinem geistigen Auge.
»Noch ist es nicht zu spät, eine neue Welt zu suchen … noch immer sind wir Helden, deren Herzen im Gleichklang schlagen«, rezitierte er aus dem Gedicht, das sie ihm geschenkt hatte. Er hoffte, dass sie es wiedererkannte.
Ein schüchternes Lächeln umspielte ihren Mund, kaum hatte er die Zeilen ausgesprochen.
»Alfred Lord Tennyson? Du hast die Gedicht behalten und sogar auswendig gelernt?«
Erneut nickte er. Zumindest teilweise traf es schließlich zu, auch wenn es kaum mehr als zwei Zeilen waren, die zufällig in ihm haften geblieben waren – zwei Zeilen, die ihr offensichtlich viel bedeuteten und deren Bedeutung ihm selbst erst jetzt, in diesem Augenblick, den er für immer festhalten würde, tief in seinem Herzen, bewusst wurde.
»Oder ist es bereits zu spät?«, fragte er vorsichtig.
Ein Weilchen sah sie ihn nur an. Dann, ganz behutsam, setzte sie einen Fuß nach vorn und küsste ihn auf den Mund. Nur einmal, ganz kurz.
»Nein, es ist nicht zu spät«, sagte sie leise.
Ein erneuter tosender Knall aus dem Kornfeld ließ sie beide zusammenzucken.
»Außer für deine Auto«, ergänzte sie. »Für die ist es ganz sicher zu spät.«
Sie schaute ihn an, als wäre sie nicht ganz sicher, ob sie lachen durfte. Aber natürlich durfte sie! Er jedenfalls tat es, und sofort stimmte sie ein. Es war ein Lachen, so laut, glückselig und befreit, dass man es ganz sicher bis nach Paris hören konnte. Paris in Paris, nicht das Paris in der Normandie, wohlgemerkt. Wenn Jacques nur einen einzigen Wunsch frei gehabt hätte in diesem Moment, hätte er sich gewünscht, dass kein einziger Tag mehr verginge in seinem Leben, und keine einzige Nacht – ohne dieses Lachen, ihr Lachen.
– Drei Monate später –
»Sie hat A gesagt!«
Catherines Stimme klang aufgeregt wie die eines kleinen Mädchens, das am frühen Morgen, während die Welt noch schlief, barfuß in den Garten gelaufen war und ein Vogelküken unter der mächtigen Eiche im Garten gefunden hatte, das aus dem Nest gefallen war. Nur mit einer Prise weniger Panik, dafür mit zwei oder drei gehäuften Esslöffeln Fröhlichkeit.
»Jacques, die Esel hat A gesagt!«
Langsam erwachte Jacques aus seinen Träumen – in dem kleinen, in einem zarten Blau gestrichenen Schlafzimmer des Cottages, in dem er seit einiger Zeit das Privileg genoss, übernachten zu dürfen, an der Seite einer amerikanischen Traumfrau. Es war spät geworden gestern im Paris , der Laden brummte mehr denn je zuvor. Eigentlich hatte er heute ausschlafen wollen, doch der gräuliche Nebel, der durch die Fensterscheibe zu ihm in das warme Schlafzimmer kroch, ließ darauf schließen, dass es
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