Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
er sich nur umziehen, um sie anschließend in ein Restaurant auszuführen. Oder war das nur ein Vorwand, dass sie ihm in seine Wohnung folgte?
Unwichtig. Jedenfalls kam eins zum anderen, und als er ihr gestand, dass es ihn bei ihrem unverhofften Wiedersehen wie ein Blitz getroffen hatte, gab es kein Halten mehr. Wie ungeduldig und doch auch vorsichtig er sie auszog. Wie er ihren Körper liebkoste. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ihre Haut blässlich war und ihre Figur nicht den Modelmaßen entsprach. Dabei hatte sie sich so vor diesem Augenblick gefürchtet, hatte Angst gehabt, Verachtung in seinen Blick steigen zu sehen, wenn er ihre Bluse öffnete und ihre Hose herunterstreifte. Fast hätte sie sich gewünscht, sich ihm in ihrer Gestalt des Nachtmahrs zeigen zu können, doch Jason küsste all ihre Bedenken weg. Sie liebten sich das erste Mal in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Er ließ sich Zeit, beklagte sich aber hinterher mit einem spitzbübischen Lächeln, dass die Polsterkissen in seinem Rücken nicht die bequemsten seien.
»Dann musst du dir ein anderes Sofa besorgen«, schlug Lorena in gespieltem Ernst vor.
»Oder wir suchen uns einen gemütlicheren Ort.« Trotz ihres Protests schob er sie von sich herunter, bückte sich und hob sie in seine Arme.
»Ich bin doch viel zu schwer für dich.«
»Was? Glaubst du, nur weil ich Musiker bin, bin ich ein Schwächling? Ich treibe durchaus noch Sport und breche nicht unter deinem Fliegengewicht zusammen.«
Fliegengewicht! Das war zwar eine faustdicke Lüge, aber eine sehr nette. Er legte sie in seinem Bett nieder und kuschelte sich zu ihr. Und dann liebten sie sich ein zweites Mal, und es war noch schöner als zuvor. Lorena riss die Augen weit auf. Sie konnte es gar nicht fassen. Was für ein Glück. Welch berauschende Gefühle durchfluteten sie. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem eigenen Körper so empfunden zu haben.
Danach schlief Jason ein. Das Abendessen fiel aus, aber das störte sie nicht. Sie lag neben ihm, strich ihm vorsichtig übers Haar und lauschte seinen Atemzügen. Wie gern hätte sie die ganze Nacht bei ihm verbracht. Und am folgenden Morgen ein gemütliches Frühstück mit ihm im Bett genossen.
Nein, das war nicht möglich. Immer wieder huschte ihr Blick zur Uhr auf seinem Nachttisch. Sie zögerte den Abschied immer weiter hinaus, bis sie bereits die Unruhe vor der Wandlung in sich aufsteigen spürte. Lorena hauchte einen letzten Kuss auf seine Lippen, dann glitt sie aus dem Bett, schnappte ihre Kleider und lief hinaus. Hastig zog sie die Jeans an und schlüpfte in die Schuhe. Im Treppenhaus streifte sie sich noch die Bluse über und rannte dann durch die nächtlichen Straßen von Soho davon, als sei der Teufel hinter ihr her.
»Kommst du heute noch einmal zum Arbeiten an deinen Schreibtisch oder starrst du bis Feierabend Löcher in die Luft?«
Alices spitze Bemerkung ließ Lorena auffahren. Sie hielt noch immer ihr angebissenes Sandwich in der Hand. Hastig sprang sie auf und warf es in den Mülleimer. »Entschuldige«, sagte sie, »ich war in Gedanken. Ich komme sofort.«
Alices Blick folgte ihr, doch dieses Mal lag keine Verachtung darin. Es sah eher nach Neid aus.
Lorena gelang es, Jason wieder bis zum Wochenende zu vertrösten, obgleich es ihr vermutlich schwerer fiel als ihm. Das Argument mit dem gesunden Schlaf, den sie unter der Woche brauchte, überzeugte ihn zwar, aber tatsächlich schlief sie fast gar nicht mehr, was sich bereits Mitte der Woche auf ihre Arbeit auszuwirken begann. Sie erwischte sich immer wieder, wie ihre Gedanken abschweiften oder sie einfach schläfrig ins Leere starrte. Selbst Alice fiel das auf, und sie konnte sich natürlich die eine oder andere spitze Bemerkung nicht verkneifen.
»Wenn du es weiterhin so wild treibst, dann wirst du bald sehr viel Zeit zum Ausschlafen haben!«, ätzte sie, und da Lorena sich an diesem Tag schon einen Rüffel von Mr. Holwood eingehandelt hatte, war die düstere Prophezeiung nicht von der Hand zu weisen.
Lorena holte sich einen extra starken Kaffee und riss sich zumindest bis zur Mittagspause zusammen, doch dann drohten ihr schon wieder die Augen zuzufallen.
Sie wollte nachts ja schlafen, aber es ging einfach nicht. Der Nachtmahr trieb sie um und ließ sie nicht zur Ruhe kommen, egal, ob sie ihn in ihrer Wohnung einschloss oder ihn draußen herumstreifen ließ. Doch das war nicht das Hauptproblem: Je näher sie und Jason einander kamen, desto schwieriger
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