Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
wurde es, ihr Geheimnis zu wahren. Sie überlegte hin und her, wie es möglich sein sollte, eine normale Beziehung zu führen und ihn dennoch vor den Fängen des Nachtmahrs zu bewahren. Sie spürte, wie die Ausreden und Lügen ihre noch so zerbrechliche Beziehung zu vergiften begannen. Was, wenn er davon genug hatte? Wenn er argwöhnte, sie würde ihn mit einem anderen Mann betrügen?
Was du streng genommen ja auch tust.
Nein!
Nein? Und was ist mit Noah? Was mit Jake und Tyler?
Das war nicht Lorena gewesen. Das war der Nachtmahr in ihr, dessen zügellose Triebe sie nicht unterdrücken konnte.
Du bist der Nachtmahr, Lorena! Akzeptiere das endlich. Tu nicht immer so, als sei es ein fremdes Wesen, das sich deiner bemächtigt. Es ist ein Teil von dir, und alles, was du tust, egal in welcher Gestalt, sind deine eigenen Handlungen, die du vor dir und der Welt rechtfertigen musst.
»Ich muss mich für gar nichts rechtfertigen!«
Erst als David sich zu ihr umdrehte und sie fragend ansah, bemerkte sie, dass sie den letzten Satz laut ausgesprochen hatte.
»Ach nichts!«, wehrte sie seine stumme Frage ab.
David schlenderte zu ihr herüber und beugte sich mit verschränkten Armen über einen ihrer Monitore, auf denen sie das Auf und Ab der Kurse verfolgte. »Meine Teure, du gefällst mir gar nicht. Ich dachte, die Liebe lässt uns aufblühen und vor neuer Energie sprühen. Bei dir habe ich eher das Gefühl, sie zehrt an dir. Es ist doch nicht etwa Liebeskummer, der dich quält? Sag nicht, dass es mit Jason schon wieder aus und vorbei ist!«
Lorena schüttelte den Kopf. »Ich bin nur so müde. Ich kann sehr schlecht schlafen. Du brauchst jetzt nicht so süffisant zu grinsen. Das ist nicht der Grund! Wir sehen uns die Woche über gar nicht.«
»Dann solltet ihr das vielleicht tun? Sind die Zeiten nicht vorbei, in denen Damen- oder Herrenbesuche auf dem Zimmer verboten sind? Es kann auch ganz nett sein, sich nur auf ein Bier im Pub zu verabreden oder, wenn es mal nicht regnet, einen Spaziergang im Park zu machen. O ja, das ist auch fürs Einschlafen ganz wunderbar.«
Lorena zog eine Grimasse. »Danke, Herr Doktor, für diese revolutionären Ratschläge.«
David schnaubte beleidigt. »Ich will dir ja nur helfen.«
Sie griff nach seinem Arm, als er sich abwenden wollte. »Ich weiß, du bist nicht wie Alice. Entschuldige. Es ist nur … Jason ist Musiker und arbeitet abends. Bis er von seinen Konzerten kommt, ist es schon zu spät, um sich noch zu verabreden.«
»Na, dann hättest du doch alle Zeit der Welt, in Ruhe zu schlafen.«
Lorena seufzte und nickte. »Das sollte man meinen, und doch komme ich nicht zur Ruhe.«
»Dann hilft nur noch Baldrian«, erwiderte David halb im Scherz und kehrte zu seinem Arbeitsplatz zurück.
»Vielleicht sollte ich es mal damit versuchen«, murmelte Lorena. Das war gar keine schlechte Idee.
Auf dem Heimweg machte sie einen Abstecher zur Apotheke und kaufte sich eine große Schachtel Baldriantabletten. Zu Hause las sie sich beim Abendessen den Beipackzettel genau durch und schluckte dann die dreifache Menge. Sie füllte dem Kater noch seine Futterschüssel und legte sich kurz nach acht ins Bett.
Anscheinend wirkte der Baldrian tatsächlich – zumindest in dieser Dosierung –, denn Lorena fiel in tiefen Schlaf. Sie träumte nicht einmal. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut, doch Punkt Mitternacht begann ihre Wandlung. Vielleicht kreiste noch zu viel Baldrian in ihren Adern, dass sie dabei nicht einmal recht wach wurde, doch die Instinkte des Nachtmahrs waren dennoch geschärft, und sie wusste, was sie begehrte. Der Körper gehorchte den Befehlen, erhob sich und wankte zur Tür. Der Riegel war nicht vorgeschoben. Gut so! Mal sehen, was die Nacht heute zu bieten hatte. Kurz darauf taumelte sie durch die dunklen Straßen. Ihr Geist war noch immer schläfrig, und so huschten die Eindrücke nur verschwommen an ihr vorüber. Doch vielleicht gerade weil ein Teil ihres Hirns benebelt war, schien ein anderer geradezu geschärft. Es war ihr, als könne sie einen Schatten wahrnehmen, der ihr folgte. Lorena blieb stehen und drehte sich um.
Nichts. Die Straße lag verlassen da. Langsam setzte sie ihren Weg fort, doch ihre Instinkte tasteten aufmerksam die Umgebung ab.
Da war er wieder! Er kam aus einer finsteren Hofeinfahrt gehuscht und folgte ihr in einigem Abstand. Wer war das? Und warum folgte er ihr? Es fühlte sich nicht an wie ein Mann. Sie konnte nicht das begehrliche Kribbeln in
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