Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
in Böen gegen die Scheibe klatschen ließ.
Jason gab ein Geräusch von sich, das ein Lachen hätte sein können. »Auch bei diesem Wetter? Du bist ganz schön hart. Mir wäre es nach etwas Trockenerem. Hättest du Lust auf Kino? Und dann vielleicht etwas essen gehen?«
»Ja, gern«, rief sie und hoffte, dass es nicht zu überschwänglich klang.
»Kommst du mit der U-Bahn? Dann hole ich dich am Leicester Square ab. Dort haben wir eine gute Auswahl an Kinos in der Nähe, und von dort könnten wir nachher zu Covent Garden rübergehen, je nachdem, auf was du Appetit hast. Wie hört sich das an?«
»Fantastisch«, hauchte sie.
»Dann um vier?«
Lorena sagte zu, legte auf und ließ das Telefon auf das Sofa fallen. Dann sprang sie auf und tanzte singend durch die Wohnung, bis der Kater den Kopf hob und sie fragend ansah.
»Ein Date! Ein Date mit Jason«, jubelte sie, ehe sie zu der überaus schwierigen Kleiderfrage überging. Nicht zu elegant, nicht zu sexy, aber auch nicht zu leger oder sportlich. Dem Wetter angemessen, aber kein dicker Pulli. Das würde nicht einfach werden und sie die nächste Stunde, bis sie aus dem Haus musste, bestimmt beschäftigen.
Lorena lag im Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und dachte über den Tag nach. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Miene, und sie konnte spüren, wie es sich über ihr Gesicht ausbreitete. Ja, es schien ihren ganzen Körper zu erfassen und zum Strahlen zu bringen. Jason interessierte sich für sie. Für sie, die unscheinbare Lorena mit all ihren Mängeln – nicht für den strahlend schönen Nachtmahr. Nun gut, den hatte er auch noch nicht zu Gesicht bekommen, und dabei, so beschloss sie, sollte es auch bleiben. Sie versuchte, sich einzureden, dass Jason nicht auf ihr anderes Ich reinfallen würde, doch ausprobieren wollte sie es lieber nicht. Sie würde alles daransetzen, um ihr Geheimnis zu wahren und den Nachtmahr von ihm fernzuhalten. Das würde nicht einfach werden. Je vertrauter sie miteinander wurden, desto schwieriger würde es sein, sich jede Nacht von Mitternacht bis ein Uhr davonzustehlen.
Vielleicht würden sie ja gar nicht so vertraut miteinander werden. Vielleicht wollte er ja nur wieder die Schulfreundin, mit der man alles besprechen konnte, die jeden Streich mitmachte und einem den Rücken frei hielt, die in seinen Augen mehr Kumpel als Mädchen war. Das würde es einfacher machen, dennoch schmeckte diese Version ein wenig bitter.
Was sah Jason in ihr? Immerhin hatte er sie beim Abschied geküsst.
Wie eine Schwester.
Nein, zärtlicher. Eben wie ein Gentleman, der sich Zeit nimmt und nicht drängt.
Oder wie einer, der doch nur alte Zeiten wiederbeleben will.
Lorena warf die Decke ab und stand auf. Sie wollte sich die Erinnerungen an diesen Abend nicht verderben lassen. Lieber lenkte sie sich noch ein wenig ab, bis sie sich in einer halben Stunde wandeln musste. Sie nahm erneut das ledergebundene Buch zur Hand und las die letzten Sätze.
Vielleicht geschah in dieser Nacht ja etwas, das alles ändern würde?
Lorena glitt allmählich zurück in die Vergangenheit. Bald war sie wieder dreizehn und stand nachts in ihrem Zimmer vor dem Spiegel, suchte eifrig nach jedem noch so kleinen Anzeichen von Veränderung, doch sie sah nur den etwas pummeligen, unscheinbaren Teenager, in dessen Blick so viel Sehnsucht lag. Sehnsucht nach dem Besonderen, nach dem Abenteuer und nach Liebe. Der Körper war erwacht und mit ihm neue Wünsche. So viele Versprechungen in der Werbung, im Kino und im Fernsehen. So viele schöne Frauen und attraktive Männer auf den großen, bunten Plakaten, die von einer heiteren, begehrenswerten Welt sprachen, die es vielleicht so nicht geben konnte. Und dennoch sehnte sich jeder danach und träumte von ein wenig Glamour, von bewundernden Blicken und Komplimenten. Davon, in dieser neuen, aufregenden Welt dazuzugehören.
Die Uhr schlug Mitternacht. Da konnte ich es spüren. Es überfiel mich ganz unvermittelt. Dieses Mal hieß ich den Schmerz willkommen, der an meinen Gliedern zerrte. Begierig starrte ich in den Spiegel, während das Zucken immer stärker wurde. Ich spürte, wie meine Kleider zu spannen begannen, und riss sie mir mit hastigen Bewegungen vom Leib. Der Schmerz zwang mich in die Knie, und ich musste die Augen zukneifen, doch gerade als ich dachte, ich könne das nicht länger aushalten, war es vorbei. Zaghaft erhob ich mich und öffnete die Augen.
Da stand sie vor mir: die wundervolle Gestalt. Halb Mädchen,
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