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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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die
Entscheidung. Es war ein Patt. Gerhard wusste, dass sein Gegenüber ein Raubtier
war, das Blut riechen konnte. Das den Angstschweiß riechen würde. Aber er,
Gerhard Weinzirl, hatte keine Angst, nicht vor so einem Feudalherrn. Er hatte
Verachtung für ihn, und er war auf der Hut. Sein Gegenüber schien zu spüren,
dass ihm hier einer auf Augenhöhe begegnete und keinen Millimeter weichen
würde. Schließlich sagte er betont höflich: »Herr Weinzirl, was kann ich für
Sie tun?«
    »Ich hätte da einige Fragen in einer Mordsache.«
Gerhards Stimme war sehr laut, und in den Büros ruckten die Köpfe.
    »Machen Sie Ihre Arbeit, und halten Sie nicht
Maulaffen feil!«, brüllte Ferdinand Friedl, und seine Mitarbeiter senkten die
Köpfe, als wären sie Schulkinder, die Angst vor dem Rohrstock hatten.
    Gerhard wandte sich an Evi. »Meine Liebe, du befragst
doch schon mal den Kollegen, bis ich dazustoße.« Gerhard hoffte inständig, dass
von Evi nun keine frauenemanzipatorische Auflehnung kommen würde, er war froh,
dass nicht Jo seine Mitarbeiterin war. Evi begriff, senkte züchtig den Kopf,
grüßte freundlich und ging, ohne sich nochmals umzusehen.
    Von Friedl kam ein Grinsen. »Mitarbeiter!«, sagte er
nur.
    Gerhard wahrte die Beherrschung. »Nun, ich hätte
einige Fragen zu Jacky Paulig.«
    »Nie gehört.«
    Eine Sekretärin war hereingehuscht und setzte Kaffee
und einen sündhaft teuren Malt vor den beiden ab. Friedl nahm einen kräftigen
Schluck, Gerhard auch.
    »Jacqueline Paulig«, wiederholte Gerhard.
    »Kenn ich nicht.«
    »Doch, Sie kennen das Mädchen. Sie hat bei Anton
Erhard ausgeholfen, dessen Jagd Sie gepachtet haben.«
    »Ach, die kleine Magd vom Albrecht!« Friedl verzog das
Gesicht zu einem unangenehmen Grinsen.
    Ja, das war der Herrenmensch, der Großkolonialist, in
dessen Weltbild noch Mägde und Knechte vorkamen, einzig, um ihm zu dienen.
Gerhard war angewidert.
    »Wie weit gingen ihre Dienste denn so? War in der
Jagdpacht auch ein Ius primae Noctis drin?« In Gerhard brodelte es, glühende
Lava stieg in seinem Inneren auf. Und doch klang seine Stimme völlig neutral.
    Sein Gegenüber sah ihn mit zusammengekniffenen Augen
an. Dann spielte ein Lächeln um seine Schweinsäugelein. »Herr Weinzirl, ich
provoziere gerne einmal. Aber im Ernst: Sie war nicht meine Klasse, die Kleine.
Gar keine Klasse. Wissen Sie, es gibt unter den Menschen wenig Hochwild und
unendlich viel Niederwild. Mit Niederwild habe ich mich noch nie begnügt. Sie werden
das verstehen, Sie werden sich doch auch nicht damit abgeben. Wo bleibt da der
Rausch?«
    Wollte er ihm nun schmeicheln oder ihn wieder
provozieren? War der Mann so selbstgefällig, dass er annahm, Gerhard wäre einer
der Seinen? Oder war das einfach nur ein Test? Gerhard nahm einen Schluck vom
Malt und schwieg. Sein Blick suchte die Schweinsäugelein. Er hasste diesen
Mann. Fast erschrocken nahm er wahr, dass er diesen Menschen dort wirklich
hasste. Ihn schon gehasst hatte, als sich ihre Blicke erstmals gekreuzt hatten.
Selten hatte ein Mensch – und er hatte viele unmenschliche, unselige, herzlose,
grausame Kreaturen in seiner Laufbahn erlebt – solch starke Emotionen in ihm
ausgelöst. Es war ein Hass, der ihn mitzureißen drohte. Aber genau das wäre
sein Verhängnis. Er musste kühl bleiben – nein, eiskalt. Er rief sich Hajos
Worte in Erinnerung: Der Mann ist ein Sieger.
    »Die kleine Jacqueline, ja, die habe ich gekannt«,
sagte Friedl schließlich und entzündete eine Havanna. »Nehmen Sie auch eine?«
    Gerhard schüttelte den Kopf.
    »Ja, die Jacqueline, sehen Sie, ich fühlte mich da ein
bisschen verantwortlich. Ich wollte dem Mädchen ein bisschen Geld zukommen
lassen, damit sie sich mal was Hübsches kaufen kann. Sie versauerte da ja beim
Erhard.« Er lächelte, und in dem Moment wusste Gerhard, dass dieser Mann das
wirklich glaubte. Dass er sich für von Gott gesandt hielt, für den großen
Gönner, der sich seine eigene Realität zurechtgezimmert hatte und der im
strahlend erhellten Mittelpunkt eines Universums thronte, das er sich selbst
erschaffen hatte.
    »Sie sind ein Gönner.« Gerhard sagte das weder
besonders laut und vehement noch mit ironischem Unterton. Er sagte es nur und
spürte, dass Friedl ein wenig irritiert war über einen Mann, den er nicht in
den Griff bekam. Es war wie ein Pokerspiel mit höchstem Einsatz. Es war wie ein
Grand-Slam-Turnier, und Gerhard merkte, dass der Vorteil momentan beim
Aufschläger, bei ihm,

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