Nachtpfade
Einstecken ging. Er war
empfindlich, und was hatte eine Magd ihn, den großen Gönner, zu bedrohen? Nicht
dass ihm das Angst gemacht hätte, aber solch ein Mädchen hatte doch gefälligst
dankbar zu sein.
»Und um ihr den Mund zu stopfen, haben Sie Jacky
Paulig umgebracht. Sie haben das Niederwild eliminiert, weil auch ein
Großwildjäger sich einmal in die Niederungen verirrt. Dorthin, wo sie kauern.
Weil es sein musste.« Gerhard schenkte ihm ein Lächeln.
»Niemals!«, Friedl stand auf. »Ich denke, unser
Gespräch ist beendet.« Er war neben Gerhards Stuhl getreten und sah auf ihn
herunter. Gerhard erhob sich, nun war er viel größer als der Putto. Sie standen
auf Armeslänge voreinander entfernt. Gerhard konnte das teure Parfüm riechen,
das sich mit dem Rauch der Havanna und dem Kaffeedampf vermischte – es war der
Geruch eines Siegers.
»Unser Gespräch ist beendet, wenn ich meine Fragen
gestellt habe, Herr Friedl! Wo waren Sie denn, nachdem Sie Jacky abgesetzt
hatten?«
»Ich bin nach Hause gefahren.«
»Auf direktem Wege?«
»Sicher.«
»Und wer kann das bestätigen?«
»Meine Haushälterin und ihr Mann. Er fährt meinen
Wagen in die Garage, und sie stellt mir stets um elf Tee und Kuba-Rum hin.
Danach gehe ich zu Bett. Erfolg hat nur der, dessen Leben klare Strukturen hat,
nicht wahr, Herr Weinzirl?«
»Und wo finde ich Ihr trautes Heim?« Nun wurde Gerhard
doch ironisch, obwohl er das hatte vermeiden wollen. Ironie war unsouverän, und
sein Gegenüber spürte so etwas.
»Meine Sekretärin gibt Ihnen die Adresse.« Friedl trat
einen Schritt zurück, und noch einmal war es, als müsste einer der beiden nun
den Colt ziehen. Aber da war keine stechende Sonne im Wüstensand, da rollte
kein Dornbusch durch eine Geisterstadt, da war nur Eiseskälte. Friedl drehte
sich plötzlich um und verschwand durch die Wand. Oder besser: Es war, als würde
er durch die Wand gehen. Urplötzlich war ein Regal zur Seite geglitten und auch
wieder retour. Gerhard starrte auf die Stelle und atmete tief durch. War das
noch Einstand? Eher nicht, jetzt war Vorteil Rück, und Gerhard war dennoch wild
entschlossen, das Spiel und den Satz zu gewinnen.
Die verhuschte graue Maus, die den Kaffee gebracht
hatte, betrat den Raum und drückte ihm einen Zettel mit Adresse und
Telefonnummern in die Hand. »Herr Friedl hat mich gebeten, Ihnen das zu geben.«
Gebeten war wohl das falsche Wort, dachte Gerhard. »Wo
ist Ihr Chef jetzt?«
»Er hat das Haus verlassen und ist bis auf Weiteres
nicht erreichbar.« Sie sagte das und zog fast den Kopf ein. Sie duckte sich,
als ob Gerhard sie schlagen wolle.
»Danke«, sagte der nur.
Als er draußen stand im warmen Sonnenlicht, war ihm,
als wäre er soeben aus einem verwirrenden Traum aufgewacht. Er hatte Mühe, sich
zurechtzufinden. Er hatte keinerlei Zeitgefühl. Als er auf sein Handy sah,
merkte er, dass gerade mal zwanzig Minuten vergangen waren. Es hätten Stunden
sein können, so erschöpft fühlte er sich. Er wählte Evis Nummer, die ihm
berichtete, dass sie mit dem Kollegen Reitmair im Waitzinger Bräu am Stadtplatz
säße. Das klang gut, und als er ankam, war Evi erst mal nicht zu entdecken.
Sehen und gesehen werden in Miesbach, eine bunte Schar von Gästen hielt die
Nase in die Herbstsonne. Evi entdeckte er dann schließlich im Biergarten auf
der hinteren Seite des Hauses, wo es schattig war und kühl. Der Kollege
Reitmair erklärte, dass die meisten lieber vorne säßen zwecks des Schaulaufens.
Gerhard orderte ein Hopf-Weißbier. Er trank es im ersten Schluck fast halb
leer, das Leben hatte ihn wieder. Guter Stoff, keine Frage.
»Harter Brocken, der Friedl«, meinte der Kollege.
»Herr Reitmair, das ja, allerdings«, sagte Gerhard,
nahm noch einen tiefen Schluck und befand, dass dieses Hopf wirklich süffig
war. Sehr ordentlich, was für ihn als passionierten Dachs-Trinker ein
Kompliment war. Der Kollege war so einer Marke Sonnyboy, was Evi zu gefallen
schien. Er war aber auch ein sehr engagierter Kollege – gewiss mit Sendungsbewusstsein,
aber das auf eine nette Art. Über Friedl erfuhren sie, dass sich dieser
sozusagen auf einem Treck nach Westen befand. Er hatte schon mehrere Jagden
gepachtet gehabt, eine bei Hausham, dann hinter Bad Wiessee, später eine
westlich von Arzbach und dann die am Walchensee. Überall hatte es massiven
Ärger gegeben wegen seiner Methoden. Reitmair spekulierte sogar, dass es
Ferdinand Friedl gewesen sei, der Bär Bruno erschossen hatte. Sicher
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