Nachtpfade
wusste er
das aber nicht.
»Wissen Sie, was den Friedl betrifft, ist Miesbach
eine gespaltene Stadt. Es gibt viele, denen sein Großkolonialistengehabe
aufstößt, und wer mehr Einblick hat, weiß auch, dass er eine ungute Art hat,
seine Mitarbeiter zu behandeln. Andererseits wird ja keiner gezwungen, bei
Friedl zu arbeiten. Und ich muss schon sagen, dass er viel für Miesbach und die
Region getan hat. Er sitzt im Stadtrat, und im Gegensatz zu vielen, die nur
reden, handelt er auch. Ich bin da selbst ambivalent.«
»Aber wie war das mit seinen Jagdmethoden?«, fragte Evi.
Reitmair schenkte ihr ein Lächeln. »Liebe Kollegin,
letztlich sind seine Jagdverfehlungen wohl immer irgendwie innerhalb der Szene
abgehandelt worden. Zwar hatten ihn Tierschützer mal wegen Kopfschüssen und
Nachtjagden am Wickel gehabt, ihm aber am Ende nichts beweisen können. Und dann
hatte er auch noch mit einer großzügigen Spende das Tierheim und den Bau eines
neuen Katzenhauses unterstützt. Er macht immer gute Werbung für sich.«
»Ja, ich habe einige Zeitungsausschnitte im
Zusammenhang mit seinem Schaffen für die Seniorenstadt gelesen, und das waren
pure Lobeshymnen. Wenn ›Anzeige‹ drüberstehen würde, wüsste man wenigstens,
dass es sich um PR handelt«, sagte
Evi.
Der Kollege lachte. »Er wird in letzter Zeit wie der
Messias dargestellt. Ich hab da was läuten hören, dass er wohl mal an höchster
Stelle beim Merkur in München interveniert hat. Seither lesen wir nur noch
Gutes, und zudem kommuniziert er auch nur über seinen Pressesprecher. Er hasst
die Presse noch mehr als uns Polizisten.« Der Kollege zuckte mit den Schultern
und prostete Evi und Gerhard zu. Er fuhr fort: »Wie gesagt. Die einen macht
diese Gönnerattitüde ganz krank. Die glauben nicht an seinen Sinn für Senioren
und seine Vision für eine bessere Welt. Senioren sind einfach prima Mieter: Die
zahlen pünktlich und machen nix kaputt.«
»Glauben Sie das auch?«, fragte Gerhard.
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, er will
wirklich was Gutes tun. Dass er dabei selbstherrlich auftritt, mein Gott. Wir
sind im Bayern, im Land der selbst ernannten Könige und Prinzregenten. Der
Zweck heiligt doch die Mittel. Friedl tut wenigstens was.«
Reitmair prostete den Kollegen zu und versicherte
ihnen, dass sie sich jeder Hilfe aus Miesbach sicher sein konnten, und er
beschrieb ihnen noch den Weg zur Villa von Friedl. »Eine Monstrosität und das
im Außenbereich, keine Ahnung, welchen Landrat er da geschmiert hat.« Mit einem
»Schaugts jederzeit wieder rein« verabschiedete er sich, weil er zu irgendeinem
Verkehrserziehungsprojekt mit Grundschülern musste. So wie er Evi anstrahlte,
galt das »Jederzeit« wohl eher ihr als ihm, registrierte Gerhard amüsiert.
»Netter Hund«, sagte Gerhard und zwinkerte Evi zu. Die
streckte ihm nur die Zunge raus.
Ihr Weg zur Villa führte sie nach Kleinpienzenau: eine
Kirche, eine Wirtschaft, Bauernhöfe – so wie sich das gehört für einen
oberbayerischen Ort. Und Evi hatte mal wieder Gelegenheit, ihr Webwissen
auszupacken, indem sie ihm erklärte, dass nämlich längst nicht bloß der
legendäre Schmied von Kochel eine wichtige Figur in der Sendlinger
Mordweihnacht gewesen war. Auch die Pfarrei Neukirchen hatte 1705
sechsundfünfzig Angehörige verloren, unter ihnen war auch der legendäre
Balthasar Riesenberger gewesen, einer der Anführer des legendären
Bauernaufstandes.
»Danke, Evi-Herz, ich wusste, dass Reisen bildet«,
grinste Gerhard.
Sie passierten das Dorfbad Pienzenau, das »nur für
Gemeindebürger« vorgesehen war, wie das Schild besagte. Gerhard fragte sich,
wer das auch entdecken sollte außer einem Gemeindebürger. Angesichts der
Temperaturen des ausgehenden Oktobers hätte man hier sicher noch baden können,
allein: Man war im Dienst. Sie kamen aus einem Waldstück heraus, und da ruhten
Einzelhöfe zwischen Wiesen und Waldstücken, weit weg am Horizont standen die
Berge mit ihren ersten Schneekappen. Einer der Höfe war umgebaut worden.
Monstrosität war ein guter Ausdruck, denn das ursprünglich mal behäbige
Bauernanwesen war in einem Gelborange gestrichen worden und umgeben mit
schmiedeeisernen Zaunanlagen, die dem Ganzen etwas Schlossparkartiges geben sollten.
Das riesige Tor wurde flankiert von überdimensionalen Löwen, die Einfahrt war
gekiest und führte auf einen Springbrunnen hin.
Man hörte Hunde bellen, das Bellen kam aus einem
Zwinger, der etwas abseits des Hauses auf der Westseite
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