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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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die Bewohner des Südens der Republik, wo man
bis heute ohne allzu viele Verbrechen lebte, ausgerechnet an Mordfällen? Wann
hatte er eigentlich zuletzt ein Buch gelesen? Das BGB in der Ausbildung?
    »Liest du eigentlich solche Krimis?«, fragte er
unvermittelt Evi.
    »Nö, ich lese nur Klassiker oder mal einen
Schmachtfetzen. Liebe und so, und am Ende kriegt Aschenputtel den Gutsbesitzer.
Wunderbar zur Entspannung.«
    Sie gingen weiter. Das sei der »Untere Markt« im
Gegensatz zum »Oberen Markt«, dem Stadtplatz, belehrte ihn Evi. Den Marktplatz
hätten früher Bauernhäuser umstanden, erklärte sie zudem, Handwerkeranwesen der
Schmiede, Huterer, Säckler, Schäffler und Wohnhäuser der Bergleute. Und das
hier sei im Gegensatz zum städtisch geprägten Stadtplatz mit seinen
mehrgeschossigen Anwesen eben höchst charmant und gebe dem Platz die Atmosphäre
eines Wohnzimmers der Stadt.
    Gerhard sah sich um. Ja, das war wirklich sehr
anheimelnd hier; was ihm noch mehr gefiel, war die Metzgerei. »Sekunde«, sagte
er zu Evi, und als er wieder rauskam, hatte er eine Bratensemmel zwischen den
Kiemen. Evi drückte er eine Butter-Brezn in die Hand. »So, und woher weißt du
das alles, was du mir da gerade erklärt hast?«
    »Aus dem Internet natürlich. Schluck erst mal runter,
Weinzirl, bevor du redest.«
    »Ja, Frau Knigge!« Wahrscheinlich sollte er einen
Benimmkurs und doch mal einen Ich-bin-drin-Kurs machen, dachte Gerhard und
fügte hinzu: »Brav, Evilein, und hast du sonst noch andere Erkenntnisse aus
diesem dämlichen ›www‹ bezogen?«
    »Hmm, ich hab mal die Homepage von unserem Herrn
Friedl angesehen. Er feiert sich selbst in einer Art und Weise, die mich
neugierig macht. Er hat sogar einen Marketingchef und Pressesprecher, ziemlich
ungewöhnlich für ein mittelständisches Bauunternehmen. Außerdem ist seine
Selbstbeweihräucherung beachtlich und sehr geschickt gemacht. Die Tatsache,
dass er in Holzkirchen am Bau einer Art Seniorenstadt – nicht einfach nur
Seniorenresidenz – beteiligt ist, klingt auf der Homepage so, als hätte er die
Idee und das Kapital eingebracht. Dabei stammt das Geld von einem
Multimillionär aus Holzkirchen und der Grund von der Gemeinde.«
    »Und das steht alles auf der Heimseite?«, fragte
Gerhard grinsend.
    »Nein, aber ich hab ein bisschen gegoogelt.«
    »Aha, schön. Sonst noch etwas, was ich wissen sollte?«
    »Ach ja, ich hab den Kollegen in Miesbach informiert,
dass wir da sein werden und mal kurz bei ihm vorbeikommen. Der Typ war richtig
aufgeräumt und hat wohl ein ziemliches Sendungsbewusstsein.«
    Na, das war doch mal was: ein Verdächtiger, der sich
selbst beweihräucherte, und ein gesprächiger Kollege. Das war doch viel besser
als der verstockte Pfaffenwinkel mit seinen holzköpfigen Bauernschädeln. Sie
fuhren durch die Allee und parkten vor dem Gebäude im Gewerbegebiet Nord, auf
dem in blutroten Lettern »Friedl Bau« stand. Bei Friedl Bau wurde auch am
Samstag gearbeitet, hatten sie erfahren. Der Empfang war nicht besetzt, also
gingen sie eine pompöse Treppe hinauf. Gerade als sie das Zimmer des Chefs
ausfindig machen wollten, öffnete sich eine Tür. Eine junge Frau stürzte
heulend heraus, gefolgt von einem kleinen dunkelhaarigen Mann, dessen Gesicht
jung wirkte und gar nicht männlich kantig. Er hatte was von einem Putto, aber
als er loslegte, war alles Engelsgleiche vergessen. »Dann gehen Sie zur Post,
da geht’s griabig zu. Oder Hartz IV .
Hier brauche ich Leute, die mitdenken und auch achtzig Stunden die Woche
arbeiten, wenn ich das befehle.« In den umliegenden gläsernen Großraumbüros war
Totenstille, alle starrten in Richtung Gang, bis der Giftzwerg zum finalen
Schlag ansetzte. »Und tun Sie endlich mal was gegen Ihre Pickel. In Ihrem Alter
hat man keine Pickel mehr. Fressen Sie weniger Schokolade, das würde auch Ihren
Arsch verkleinern.«
    Die Frau stürzte schluchzend davon, die Köpfe in den
Büros senkten sich sofort wieder. Irgendwo hörte man plötzlich eine
Computertastatur tackern. Der Blick des Wüterichs fiel auf Gerhard und Evi.
    »Was wollen Sie? Lassen Sie sich einen Termin geben.«
    Gerhard machte einen Schritt nach vorne, schnippte
seine Polizeimarke heraus, und dann blieb er breitbeinig im Gang stehen. Mit
zusammengekniffenen Augen fixierte er den Mann. Es war wie eine Szene aus
»Zwölf Uhr mittags«, es war nur die Frage, welcher der Desperados als Erster
ziehen würde. In der knappen Minute, in denen sich ihre Blicke trafen, fiel

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