Nachtpfade
unter Bäumen lag. Vier
Jagdhunde hatten ihre Pfoten gegen das Gitter gestellt und bellten
herzzerreißend. Diese Kameraden waren sicher keine, die ins Haus oder sich vor
dem Kamin fläzen durften. Sie waren Arbeitstiere, und Streicheleinheiten fielen
sicher keine ab. Dulden mussten sie, das hatte Friedl gesagt. Eigentlich waren
Hunde bedauernswerte Kreaturen, überlegte Gerhard. Sie unterjochten sich auch
einem Menschen, der sie mies behandelte. Eine Katze würde das nie zulassen, nie
ihre Würde aufgeben. Er war wirklich infiziert von seinen
Pippi-Langstrumpf-Weibern. Jetzt philosophierte er schon über das Wesen des
Hundes.
Energisch drückte er die Glocke an der schweren
Eingangstür. Von drinnen war ein martialisch lauter Gong zu hören.
Augenblicklich öffnete sich die Tür, eine etwa fünfzigjährige Frau öffnete
ihnen. Gerhard und Evi hatten ihre Polizeimarken gezückt. »Dürfen wir kurz
reinkommen?«
Sie nickte und ging voran. Sie stiegen vier Stufen
hinauf, und was sich ihnen dann bot, war wirklich ungewöhnlich. Friedl schien
zwar die Außenhülle des alten Anwesens erhalten zu haben, aber innen war es
komplett entkernt. Er musste das ehemalige Wohngebäude und die Tenne
gleichermaßen genutzt haben, denn anders wäre eine solche Größe nie zustande
gekommen. Sie standen in einer riesigen Eingangshalle, deren Boden mit
Marmormosaiken gestaltet war. An den Wänden hing eine Armada an Geweihen, vor
allem zwei gigantische Elchgeweihe fesselten Gerhards Blick. Dazwischen gab es
monumentale Gemälde in schweren Goldrahmen sowie Gobelins, die Jagdszenen
darstellten. Alles auf blutrot getünchten Wänden. Nach oben war die Halle
offen. In schwindelnder Höhe, etwa auf dem Niveau des zweiten Stocks, hing ein
Kronleuchter, dessen Spannweite sicher vier Meter betrug. Im ersten und zweiten
Stock gab es umlaufende Galerien, von denen Zimmer weggingen. Das Ganze wäre
für ein historisches Schlosshotel schon protzig, aber für ein Privathaus, in
dem nur ein Mann mit seinem Hausmeister-Ehepaar lebte? Das Wort Domestiken kam
Gerhard in den Sinn. Er wandte sich an die Frau: »Frau …?«
»Hörmooser, Hörmooser, Sieglinde.«
»Frau Hörmooser, gibt es hier einen Raum, in dem wir
uns unterhalten können? Einen, der nicht so, so … also nicht ganz so
ungemütlich ist?«
Sie schenkte Gerhard ein leises Lächeln. »Küche?«
»Herrlich!«, sagte Gerhard, und sie folgten der Dame
durch einen Gobelin auf der rechten Seite der Halle. Friedl schien ein Faible
für solche Effekte zu haben, denn wie im Büro wich auch dieser wie durch
Zauberhände zur Seite. Sie kamen in einen Gang mit Holzbohlen, gingen durch
eine ganz gewöhnliche Holztür und landeten in einer Küche. Perfekt
ausgestattet, picobello sauber, im Landhausstil gehalten und urgemütlich.
Gerhard hatte das Gefühl, dass es hier zehn Grad wärmer wäre als in der
marmornen Halle. Es gab gelb geblümte Vorhänge und gelb karierte Kissen auf der
Eckbank.
»Hübsch!«, sagte Evi. »Ihr Reich?«
»Ja, ich konnte die Küche so auswählen und gestalten,
wie ich wollte.«
»Und im Gegensatz zu Ihrem Chef haben Sie auch
Geschmack, Frau Hörmooser«, meinte Evi.
Ihr Lächeln schwand augenblicklich. »Das zu beurteilen
steht mir nicht zu.«
Gerhard sandte Evi einen warnenden Blick. Das hier
würde ein Eiertanz werden. Diese Frau hatte solche Angst vor ihrem Chef, dass
sie verdammt vorsichtig sein mussten. Gerhard gab sich locker. »Ja, Geschmäcker
und Ohrfeigen sind bekanntlich verschieden. Wir sind auch gar nicht hier, um
Stilfragen zu diskutieren, Frau Hörmooser. Sagen Sie, ist Ihr Mann auch da?«
Sie nickte.
»Könnten Sie ihn wohl mal rufen?«
Sie nickte erneut und drückte einen Knopf neben der
Anrichte. Augenblicklich ging ein ohrenbetäubendes Klingeln los. Gerhard sah
sie fragend an.
»Herr Friedl hat in jedem Zimmer eine Rufanlage
installiert, damit er uns sofort erreichen kann. Der Gong ist für meinen Mann,
dieses Geräusch für mich.« Sie drückte einen anderen Knopf, und die Posaunen
von Jericho waren wahrscheinlich nichts dagegen. Ja, so rief man seine
Domestiken! Unmittelbar nachdem der Lärm abgeflaut war, kam Herr Hörmooser
herein. Im Gegensatz zu seiner rundlichen Frau, die etwa eins siebzig groß sein
durfte, war er schmal, drahtig und eher kleiner als sie. Das Paar musste nicht
nur ständig kurz vor dem Hörsturz stehen, es musste auch schneller als der
Schall sein, dachte Gerhard. Der Mann gab Gerhard und Evi die Hand und
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