Nachtpfade
Brotzeitplatte stand da
ebenfalls.
»Frau Straßgütl, den Käse hab ich so platzieren
lassen, dass er keinesfalls mit der Wurst in Berührung kommt.« Das klang nicht
etwa sarkastisch, sondern eher fürsorglich. Baier hatte etwas vom netten Opa,
und er sah wirklich blendend aus.
»Baier, wenn die Pension wirklich so ein Jungbrunnen
ist, geh ich sofort in Frührente. Ich dacht mir das schon im Krankenhaus. Sie
sehen besser aus als ich.« Gerhard grinste.
»Saß auch nicht im Gips wie Sie.« Baier prostete ihm
zu, und Gerhard trank ganz schnell einen großen Schluck Dachs. Dachs: eindeutig
das beste Weißbier! Da konnte weder das AKW mithalten noch das Karg, auch nicht das Hopf, das er in Miesbach getrunken
hatte.
Es entstand eine kleine Pause, die Baier zu
überbrücken wusste. »Nur keine Schweigeminuten, meine jungen Leute. Was ist
jetzt mit dem Fall? Sie interessieren sich für die Erhards?« Nun war er wieder
der Alte, hochkonzentriert, alle Sinne so messerscharf wie eines dieser
japanischen Wundermesser.
Evi hatte ihn am Telefon schon über den Fall Jacky
Paulig ins Bild gesetzt und nicht verschwiegen, dass alle Spuren bisher ins
Leere gelaufen waren. Sie hatte ihm erzählt, wie sie nun auf diesen Unfall
gestoßen waren.
»Ja, das war tragisch damals. Der kleine Junge lag im
Straßengraben mit multiplen Verletzungen und Brüchen«, erinnerte sich Baier.
»Und der Schuldige wurde nie gefunden?«, fragte Evi.
»Nein.«
»Aber es muss doch Bremsspuren gegeben haben. Da
müssen doch Hinweise zu finden gewesen sein.« Evi schüttelte den Kopf.
»Nein, es gab keine. Die Presse hatte spekuliert, dass
das so ein Discoraser gewesen sein muss, der nicht mal gebremst hat. Der ein
Kind überfährt wie einen Fuchs oder eine Katze.«
»Das ist aber schon sehr merkwürdig. Ich meine, gibt
es nicht einen Reflex, zu bremsen?«, fragte Evi.
»Würde man meinen. Aber wenn einer besoffen war?
Anderswie zugedröhnt? Wenn seine Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt war?«, sagte
Baier.
»Trotzdem ist das komisch, oder?« Gerhard hatte sein
Dachs fast geleert. So – nun konnte er mitreden.
»O ja! Auch hätte man meinen müssen, dass irgendwelche
Metallpartikel vom Auto oder Glasscherben oder irgendwas zu finden gewesen
wären.«
In Gerhards Augen flackerte eine Erregung, die lange
auf sich hatte warten lassen. Er wusste es auf einmal: Jetzt waren sie wieder
im Spiel. »Baier, ist es nicht auch ganz schön weit vom Hof bis zur Straße für
ein so kleines Kind?«
»Ja, das fanden wir auch, aber er ist mit so einem
Kindermountainbike unterwegs gewesen. Der Kleine muss ungebremst auf die Straße
rausgebrettert sein.«
»Habt ihr damals das Rad untersucht?«, fragte Gerhard.
»Sicher, die Bremsen waren ausgehängt. Es lag im
Graben.«
»Und die Lage des Jungen und die des Fahrrads, die
Winkel, die Lage – hätte der Unfall so passiert sein können?« Gerhard sah Baier
scharf an.
»Hätte, ja!«
»Lieber Baier, Sie betonen mir das ›Hätte‹ ein wenig
zu deutlich.«
»Weinzirl, ich hatte immer gewisse Zweifel, ein
ungutes Gefühl. Keine Reifenspuren und alles auch sonst recht dubios.«
»Dubios?« Evi mischte sich wieder ein.
»Nun, wir haben die Erhards und die Eltern des Kindes
immer wieder verhört. Und am Ende gestand uns die Mutter unter Tränen, dass
Daddy gar nicht Daddy war. Dass er das in diesem Urlaub erfahren hat. An jenem
Unfallabend. Dass sie einen Wahnsinnsstreit hatten deswegen. Dass der Bub
deshalb weggelaufen ist.«
»Baier, hattet ihr denn den Vater in Verdacht?« Das
kam von Gerhard und Evi fast gleichzeitig. Zwei Schnüffler, ein Gedanke.
»Kurzzeitig ja, zumal er in einem Wutanfall
weggefahren ist. Aber die zeitlichen Abfolgen haben nicht gepasst. Glaubte auch
nie, dass der das eigene Kind überfährt. Ein Sozialvater ist auch ein Vater,
auch wenn er kein biologischer ist.«
»Hätte er das Kind nicht in einem Wutanfall töten
können und es dann nur so aussehen lassen wie einen Autounfall?«, fragte
Gerhard.
»Sicher, Weinzirl, Sie denken genauso schlecht von den
Menschen wie ich. Wollte obduzieren, aber das haben die Eltern verhindert. Der
Junge wurde sehr schnell eingeäschert.«
»Verdammt!«
»Ja, Weinzirl, wenn Sie mit dem Gedanken einer
Exhumierung spielen, Pech! Aber sie sind auf dem richtigen Dampfer.«
»Verpass ich da gerade was?«, fragte Evi. »Was für ein
Dampfer? Wo wollt ihr da ein Verbrechen sehen? Ein Kind wird überfahren, was
sehr tragisch ist. Es war hier bei uns
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