Nachtpfade
den Hof. Er öffnete die Haustür und
deutete auf ein Paar grobe Stiefel mit Stahlschutzkappen. »De kennts mitnemma.«
Er zog seine Gummistiefel aus und bat die Kommissare in die Stube. Der Raum war
wunderschön, er hatte noch eine alte Kassettendecke und einen grünen
Kachelofen, der vom Gang aus eingeschürt wurde. Vorhänge und Kissen waren
selbst genäht, auf dem Tisch stand eine leicht ramponierte Keramikvase mit Astern
drin. Das ganze Ambiente erzählte davon, dass hier jemand mit wenig Geld, aber
mir viel Liebe am Werk gewesen war.
»Wollts a Bier?«, fragte Erhard.
Gerhard nickte, Evi schüttelte den Kopf. Erhard ging
hinaus, und Evi war nahe dran, aufzuspringen. »Was, wenn der abhaut!«
»Wird er nicht«, sagte Gerhard und lehnte sich zurück.
Wenig später war Erhard zurück. Er stellte zwei Bier im Keferloher vor ihnen ab
und hatte für Evi ein Spezi dabei. Die Männer tranken einen tiefen Schluck.
Und dann sagte Erhard: »I wars ned. I hob se ned
umbrocht.«
»Herr Erhard, Sie können jetzt die Aussage verweigern,
bis Sie einen Anwalt haben. Wollen Sie einen Anwalt? Kennen Sie einen?«
»Ja, ja, i brauch koan.«
»Gut, Herr Erhard, Sie waren auf dem Boot!«
»Ja«, sagte Erhard und begann zu erzählen in jener
schwerblütigen Weise, mit jener Kraftanstrengung, die ihn das Reden nun mal
kostete. Nach dem ganzen Ärger mit den vernagelten Bäumen war die Stimmung im
Haus wirklich schlecht gewesen. Erhard hatte Jacky gesagt, sie könne so lange bleiben,
bis sie etwas Neues gefunden habe. Er hatte ihr aber auch vermittelt, dass das
nicht auf Dauer sein könne. Es waren einige Tage ins Land gegangen, und dann
war sie im Wald aufgetaucht. Und hatte ihn erneut erpresst.
»Etz werds Zeit, dass des gar werd«, sagte Erhard und
berichtete vom grauenvollsten Tag in seinem Leben. Als er seinen Bulldog spät
noch in die Halle hatte fahren wollen, weil ein Gewitter am Himmel stand. Als
er einen kleinen Bub überrollt hatte, den er nicht hatte sehen können in der Dämmerung,
nicht hatte sehen können in diesem toten Winkel und nicht hatte hören können.
»Aber das war ein Unfall. Warum haben Sie das Kind zur
Straße gebracht?«
»I woaß ned. Des woaß i heit nimmr. I hob des am
nägschte Tag nimmr gwisst. Ja, des war wie a Zwang«, sagte Erhard leise und
starrte in sein Bier.
Die Ermittlungen waren damals angelaufen, Erhard war
stets bei seiner Geschichte geblieben. »Der oide Kommissar, der hot mir nie
globt, aber mei …«
»Hauptkommissar Baier?«
»Ja, der.«
Schließlich war die Sache im Sande verlaufen, Antons
Schwester Marianne war das alles sehr nahegegangen, und sie war die treibende
Kraft gewesen, den Bauernhofurlaub aufzugeben. Erhard hatte all die Jahre nicht
gewusst, dass Jacky ihn damals beobachtet hatte. Als sie ihn dann im Wald damit
konfrontiert hatte, war er aus allen Wolken gefallen. Die Bilder waren wieder
auferstanden, der kleine Körper hatte wieder in seinen Armen gelegen. Das
Grauen war wieder da. Die Scham, die Angst, die Verzweiflung und das Wissen,
dass es für diese Tat keine Erlösung gab.
»Seit dem Tag ko i d Nacht nimmr schloffa«, sagte
Erhard.
»Und weil Sie die Bilder loswerden wollten in Ihrem
Kopf und weil Jackys Geschichte Ihr ganzes Leben zerstört hätte, haben Sie das
Mädchen dann umgebracht«, sagte Evi, und wie sie das sagte, schwang jede Menge
Verständnis mit in ihrer Stimme.
»Na.«
»Was, na?«
»I hob se ned umbroacht.«
»Sie waren auf dem Boot, Erhard!« Gerhard wurde
allmählich etwas lauter.
»Ja, i war aufm Boot, aber i wollt se zruckhaltn.«
»Was? Zurückhalten? Wovon?« Gerhard versuchte Erhards
Blick zu erhaschen.
Aber Erhard leerte sein Bier, und er starrte ins
Nichts, sah durch Evi und Gerhard einfach hindurch. In seinen einfachen Worten
erzählte er weiter. Er hatte Jacky gesagt, dass er sich nicht erpressen lasse.
Weder um Geld noch um Zeit und nicht um ein Bleiberecht. Er hatte ihr gesagt,
sie könne ruhig zur Polizei gehen, denn er selbst finde seit jenem
verhängnisvollen Abend keine Ruhe mehr. »Besser isch des gar als wie, dass es
immr so weitergeht«, das hatte er ihr gesagt. Und da war Jacky
zusammengebrochen. Sie hatte mit Selbstmord gedroht. Er hatte sie erst nicht so
ernst genommen, aber als sie dann mit dem Miesbacher weggefahren war, hatte er
Angst um sie bekommen und war mit seinem Fahrrad losgefahren.
»Hatten Sie denn eine Idee, wo sie sein könnte?«,
fragte Gerhard.
»Na, i war an dr Bruck, aber do wars
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