Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
Vom Netzwerk:
ned.«
    »Und dann?«
    »Bin i an d Ammr nah, aber do wars a ned.«
    Erhard war schon nahe dran gewesen, wieder umzukehren,
als er aus einem Impuls heraus an den See geradelt war. Unweit vom Fischerhäusl
hatte er sie entdeckt.
    »Se isch am Ufer ghockt«, sagte Erhard.
    Er hatte sich zu ihr gesetzt.
    »Und was haben Sie gesagt?«, fragte Evi.
    »Nix, se hot gredt.«
    Sie hatte ihm von einem kleinen Hund erzählt, den ihr
Freund totgefahren hatte, vom Blick in seine Augen, in denen etwas gestanden
hatte, das wie Verblüffung ausgesehen hatte. Sie hatte ihm den Laut
beschrieben, den er ausgestoßen hatte, als er starb. Ein Geräusch aus der
Unterwelt. Sie hatte ihm erzählt, dass sie das nie vergessen würde. Es sei der
gleiche Blick und Laut gewesen wie der ihres Hundes, als Mamas neuer Freund ihn
ins Tierheim gegeben hatte. An dem Tag, an dem sie eigentlich ihren guten
Schulabschluss hatte feiern wollen. Sie habe ihn nicht beschützen können. Sie
habe sich schuldig gemacht an seinem Leben. Sie hatte von dieser Tigerkatze in
Gschwend erzählt, die in ihrem Blut gelegen hatte, das Gesicht zerschmettert.
Es war eine Katze, die mit der Flasche aufgezogen worden war. Sie hatte davon berichtet,
dass sie nachts nicht mehr Auto fahren konnte, weil sie voller Panik auf die
Straßenränder spähen musste, ob da Augen im Scheinwerferlicht reflektierten.
Mit jeder Nachtfahrt sei es schlimmer geworden: ihre unbändige Angst, ein Tier
zu überfahren. Mit jedem Kadaver am Straßenrand sei ihr Schmerz gewachsen. Als
ob das ihre Katze, ihr Hund gewesen wäre. Als ob jemand ihr Herz herausreißen
würde. Tagelang hätte sie die Bilder vor Augen. Und dann erzählte sie davon,
dass der kleine Junge ausgesehen hätte wie der Welpe. Davon, dass sie nicht
schlafen konnte, partout nicht schlafen konnte. Nur kurze erschöpfte Stunden
mal am Tage, aber nie in der Nacht. Dass sie hinauslief in die Leere der Nacht
und manchmal gar nicht wisse, wo sie sei. Dass sie in Stadeln aus wirren
Träumen erwache und keine Ahnung habe, wie sie dahin gekommen sei. Dass sie die
Bilder nicht mehr aushalten könne. Dass sie den Rufen der Nacht folgen müsse.
Weit gehen, bis nach nirgendwo. Dass sie Buße tun müsse.
    Sie hatten zwei, drei Stunden so gesessen, als Anton
Erhard ihr gesagt hatte: »Dann kimm hoam.«
    Er hatte das ehrlich gemeint, aber dann hatten sich
die Ereignisse überschlagen. Jacky hatte nur ganz leise geflüstert: »Für mich
gibt es kein Daheim, es ist zu spät«, und dann war sie davon. Bis Anton sah,
dass sie auf den See hinausruderte. Er wusste, dass sie nicht schwimmen konnte.
Er war hinterhergerudert, hatte sie davon abhalten wollen, ins Wasser zu gehen.
Er hatte ihr zugerufen, dass sie bleiben könne. Sie hatte ihm nicht mehr geglaubt.
Es hatte eine Rangelei gegeben, und dann war sie gestürzt.
    Als Erhard ihn erstmals wieder ansah, traf dieser
Blick Gerhard im Mark. »I ka o it schwimma.«
    Jacky war versunken, Erhard hatte die beiden Boote an
Land gebracht. War nach Hause geradelt. So war das gewesen. Eine kleine
Geschichte.
    »Sind Sie ihr denn noch irgendwie hinterher? Ist sie
nochmals aufgetaucht?« Die Geschichte war einfach nicht schlüssig und passte
auch nur teilweise zum Obduktionsbericht. Aber Erhard bestand darauf, dass das
alles genau so gewesen sei, wie er gesagt hatte. War das nicht wieder Erhards
Masche, die Wahrheit zu sagen, aber immer nur Teilgeständnisse abzulegen?
    »Des war s dritt Mal, dass i ned Obacht gebn hob«,
sagte Erhard plötzlich, und wieder war eine solche Pein in seinem Blick, dass
Gerhard den Schmerz fast selbst spürte.
    »Wieso drei Mal, Herr Erhard?«
    »Weil i im Holz domols bei meim Fascht-Schwoger o ned
aufpasst hob.«
    Gerhard wollte nicht nach dem Warum fragen, nicht
wissen, was damals passiert war. Er glaubte Erhard, aber die Indizien sprachen
gegen ihn. Und das falsche Alibi natürlich auch.
    »Herr Erhard, Ihre Schwester hat ausgesagt, Sie seien
um drei Uhr im Bett gelegen. Aber das kann eigentlich nicht stimmen. Warum gibt
sie Ihnen ein falsches Alibi?«
    Erhard sah ihn überrascht an, und er hätte schon ein
sehr guter Mime sein müssen, wenn diese Verblüffung gespielt gewesen wäre. »Des
glob i ned. Hot se des gwies gsagt? Mei, d Marianne wollt mir halt helfn.«
    »Wann waren Sie denn wieder im Bett?«
    »Gar ned, i bin glei in Stall.«
    »Wann?«, fragte Gerhard.
    »Um fünfe.«
    »Und die Marianne, wo war die?«
    »Se isch um halb sechse o in Stall kemma. Se hot was
ghert und

Weitere Kostenlose Bücher