Nachtprinzessin
ein paar verschrumpelten Karotten und ’ner Kiste Eisbergsalat. Kann ja sein. Viel Spaß dabei!«
»Nu reg dich erst mal ab«, murmelte ein Demischef. »Allet halb so wild.«
»Allet halb so wild?«, brüllte Alex und seine Stimme rutschte erschreckend hoch. »Wir haben keine Mittagskarte, keine Zutaten für à la carte, aber eine Gruppe von sechzig Leuten um eins. Dazu die üblichen Idioten, die hier in diesem Drecksladen zum Essen kommen. Wir können eine klare Brühe anbieten, das ist alles. Und das nennst du halb so wild? Du kannst ja versuchen, den Laden zu retten, aber ich halte meinen Kopf für die faulen Säcke der letzten Schicht nicht hin!«
Er riss seine Schublade auf, nahm seine persönlichen Messer heraus und verließ die Küche.
Seine Kollegen sahen ihm fassungslos hinterher.
Fünf Minuten später stand er auf der Straße. Mit einer Tasche voller Messer, einer zerknüllten Kochuniform unterm Arm und keinem Cent in der Tasche.
Fünf-Sterne, dachte er. Tolles Hotel. Es gab nur tolle Hotels in Berlin, denn er wusste, dass es in keinem einzigen besser lief. Die Gäste gaben gern mehrere Hundert Euro aus, um gut zu essen, und bekamen lieblos hingewichste Mahlzeiten, ungewaschen, verdreckt und oftmals verdorben. Und die Köche verdienten weniger als eine ungelernte Putze.
Und wieder einmal hatte er keinen Job. Das Arbeitsamt würde ihn sechs Wochen sperren, weil er selbst gekündigt hatte. Er war pleite, total pleite, und seinen Vater wollte er nicht anpumpen. Um nichts in der Welt.
Mit schleppendem Schritt ging er nach Hause. Sein Bein schmerzte wieder, und sein Kopf dröhnte. Dass die Sonne schien und der Himmel blau und wolkenlos war, bemerkte er nicht. Für ihn war die Welt ein einziges, undurchdringliches Grau.
Er wusste nicht mehr weiter.
40
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Ende der Woche, am Freitagvormittag, bekam Susanne Knauer einen anonymen Brief. Adressiert war er an die Kripo Berlin, Frau Susanne Knauer, Mordkommission . Abgeschickt in Italien, abgestempelt auf der Insel Giglio. Susanne erinnerte sich dunkel, dass diese Insel irgendwo vor der Toskana im Mittelmeer lag, aber sie war noch nie dort gewesen.
Mithilfe einer Lupe versuchte sie den schwer leserlichen Poststempel zu entziffern und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass der Brief fast zwei Wochen unterwegs gewesen war. Wahr scheinlich wurden die Briefkästen dort auf der Insel nicht täglich geleert und brauchten schon mal ein paar Tage bis zum Festland.
Sie wunderte sich nicht schlecht, als im Umschlag eine Ansichtskarte der Insel Giglio zum Vorschein kam. Ein traumhaftes Foto des malerischen Hafens Porto Giglio, mit stahlblauem Meer, weißen Booten und bunten Häusern. Das Adressfeld war nicht ausgefüllt, aber dort, wo man normalerweise die Grüße für die Lieben daheim unterbrachte, war in schönster und akkurater Blockschrift geschrieben:
EKGBK DKGMHKB CKHX
NGB TKXXKGWV
NGW NODL
Z.
Und dann bemerkte sie die Wimper im Briefumschlag und sicherte sie vorsichtig mithilfe einer Pinzette in einer Plastiktüte fürs Labor.
Die Insel Giglio war Susanne vollkommen unbekannt, aber ganz instinktiv blinkten bei ihr alle Warnlampen auf. Vielleicht ist er es, dachte sie, verdammt noch mal, er meldet sich. Immerhin war der Brief an sie adressiert.
Aber bereits Sekunden später glaubte sie nicht mehr daran, weil sie die Ansichtskarte extrem irritierte. Warum sollte eine Karte aus Italien mit dem Mörder zu tun haben, der in Berlin sein Unwesen trieb?
Schließlich war sie nur noch genervt über die chiffrierte Botschaft, die jede Menge Arbeit verursachen und Labor und Kryptografen tagelang beschäftigen würde.
Sie griff zum Telefon und rief Ben an.
»Komm mal rüber«, sagte sie. »Ich hab da was ziemlich Interessantes.«
Sekunden später kam Ben herein, in der Hand eine Kanne Kaffee. Er schenkte zwei Becher voll, und Susanne reichte ihm wortlos die Karte.
»Guck dir das an. Was hältst du davon?«
Ben atmete hörbar aus.
»Tja, also, entweder ist es irgendein übler Spinner, der so was lustig findet, und der Buchstabensalat hat keinerlei Sinn und Verstand, oder es ist unsere Prinzessin, die ein großes Mitteilungsbedürfnis hat, es ein bisschen spannend machen und uns vor allem durcheinanderbringen will.«
»Das glaube ich eher.«
Susanne schrieb die Buchstabenfolge ab und schob dann auch die Ansichtskarte in eine Plastikfolie. »Da haben wir beide mit dem Rätsel noch eine hübsche Feierabendbeschäftigung.«
»Wollen wir den Text nicht an die
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