Nachtprinzessin
hatten einen Weg gefunden, der für Ali und für sie günstig war.
Nach vielen Stunden Arbeit war die Küche ein Schlachtfeld, völlig verdreckt und nicht wiederzuerkennen, denn keiner der Köche achtete darauf, ob irgendetwas neben den Topf fiel und auf dem Herd einbrannte oder auf der Erde landete. So war der Fußboden übersät mit Gemüse und Fleischresten, zerschlagenen Eiern, saurer Milch, verklebten Nudeln, zertretenen Kartoffeln und Dreck von der Straße. Außerdem Blut und Schweiß und jede Menge Urin der Köche, die – da sie ihren Posten nicht verlassen und keine Pause machen konnten, weil sonst in Stress- und Stoßzeiten das gesamte aufeinander abgestimmte System binnen weniger Sekunden zusammenbrach – einfach die Hose öffneten und während des Kochens unter sich pinkelten.
Es war Alis Aufgabe, diesen stinkenden Matsch jeden Abend mit einem Schieber zusammenzukehren.
Ali war hart im Nehmen, aber davor ekelte er sich.
»Ali«, sagte eines Nachts Rolli, der Demischef, »wenn du zusätzlich noch unsere Arbeitsplatten und die Herde sauber machst, brat ich dir ein dickes Steak.«
Das ließ sich Ali nicht zweimal sagen, und er war in seiner Arbeitsweise fix und keineswegs zimperlich. Auch auf den Arbeitsplatten klebten Essensreste und lagen aufgeschnittene und nicht mehr benötigte Zitronenhälften, zermanschte Tomaten und Zwiebelschalen herum, außerdem war alles voller Soßen- und Rotweinpfützen, angetrocknetem Käse und verbranntem Eiweiß. Der Wischer war Ali vertraut, er hatte nichts anderes und putzte von nun an damit sowohl Fußboden als auch Arbeitsplatte und kassierte dafür sein Filet.
So gut war es Ali schon lange nicht mehr gegangen.
Alex hatte zwei Tage freigehabt und traute seinen Augen nicht, als er seinen Posten begutachtete. Die Übergabeliste, die in seinem Fach lag, war der reinste Hohn. Routinemäßig checkte er die Vorräte und stellte fest, dass die À-la-carte-Karte nicht zu kochen war. Als spezielles Gemüse war Rosenkohl angekündigt, allein fünf Gerichte basierten darauf, aber niemand hatte es für nötig befunden, Rosenkohl zu bestellen. Zum Mittagessen gab es sechzig Vorbestellungen, aber auch die Mittagskarte, die um diese Zeit längst gedruckt sein musste, lag noch nicht vor. Auf der Abendkarte standen zwei Menüs, speziell mit Lachs, aber auch der war nicht bestellt worden.
Es war absolut nichts vorbereitet.
Alex war fassungslos. Ein derartiges Desaster hatte er noch nie erlebt, und er begriff in diesem Moment, dass er weder eine Mittags- noch eine Abendkarte und erst recht keine À-la-carte-Karte kochen konnte. Er konnte gar nichts kochen. Sie wollten ihn fertigmachen.
Er warf einen letzten Blick in den Vorratsraum, aber auch das hatte keinen Zweck, der Räucherfisch war verschimmelt. Sicher wurde er noch verarbeitet, der Schimmel wurde abgekratzt, der Fisch gesäubert und zubereitet, aber auf dieses dünne Eis wollte er sich nicht begeben. Einen Augenblick lang überlegte er noch, welches Fleisch er aus dem Tiefkühlraum für die Mittagskarte auftauen könnte, aber dann verwarf er auch diesen Gedanken. Erst vor einer Woche hatten sie das Tiefkühlfleisch, das schon sechs bis neun Jahre eingefroren war, umetikettiert, weil sich die Hygiene angemeldet hatte und mehr als sechs Monate Lagerung nicht erlaubt waren.
Es kotzte ihn alles so an, und jetzt wollte ihn jemand ins offene Messer laufen lassen.
Er schloss sich auf der Toilette ein und rauchte drei Zigaretten. Aber er beruhigte sich nicht, sondern wurde von Minute zu Minute wütender. Als er fast glaubte zu platzen, rannte er die Treppe hinauf.
Fast alle Jungköche und Lehrlinge waren mittlerweile eingetroffen.
Alex stürmte in die Küche und fühlte sich wie einer, der nichts mehr zu verlieren hatte. Dass ihm alles egal war, war fast ein gutes Gefühl.
Der Souschef war nicht da, natürlich nicht, er kam sicher erst um zehn. Wenn überhaupt. So war er der einzig Verantwortliche in der Küche.
»Was wird hier für ein Scheißspiel gespielt?«, schrie er, nahm eine Pfanne und knallte sie auf den Boden, sodass sie durch die ganze Küche schlitterte.
Alle standen wie erstarrt.
»Bestellt Jürgen einen schönen Gruß von mir, ich hau ab, das mach ich nicht länger mit. Wenn die Posten ihren dreckigen Job nicht richtig machen, dann bade ich das nicht aus. Denk ich gar nicht dran. Ruft den großen Meister meinetwegen an, er kann ja herkommen und selber kochen. Vielleicht zaubert er einen Rosenkohl-Auflauf mit
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