Nachtprinzessin
Buchstabensalat heraus als der des Briefes.
»Das war es schon mal nicht. Müssen wir also doch alle fünfundzwanzig Buchstaben durchprobieren.«
»Oder der Kerl hat wirklich den revertierten Cäsar genommen.« Sie las weiter: »Eine weitere Variante der Verschiebechiffre besteht darin, statt des Standardalphabets ein revertiertes (umgekehrtes) Alphabet zu benutzen und dieses zu verschieben. Diese Methode wird oft knapp als ›revertierter Caesar‹ bezeichnet.« Sie sah ihn an und grinste. »Also: letzter Versuch. Wenn wir das Ding knacken, krieg ich ’ne Pizza. Einverstanden? Wenn nicht, geh ich nach Hause.«
»Einverstanden.«
»Dann roll das Ding von hinten auf. Fang mit ›P‹ an und mach rückwärts weiter.«
Ben schrieb die variierte Form unter das Standardalphabet. Und es dauerte weniger als fünf Minuten, bis sich der entschlüsselte Text herauskristallisierte.
Melanie strahlte, und Ben umarmte sie.
»Du bist großartig. Und jetzt spendier ich dir die größte Pizza, die du jemals gesehen hast.«
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Als Melanie wenige Minuten nach elf die Wohnungstür aufschloss, war es absolut still in der Wohnung. Der Fernseher war aus, und es lief auch keine Musik, was sie ungewöhnlich fand.
Ihre Mutter schlief in der Küche. Ihr Oberarm lag weit ausgestreckt auf dem Küchentisch, darauf ihr Kopf, neben sich eine halb leere Weinflasche und ebenso ein Zettel mit dem Buchstabensalat.
Melanie grinste.
»Hei, Muttertier«, sagte sie laut, sodass Susanne augenblicklich hochschreckte, »da komm ich mal superpünktlich nach Hause, und du pennst!«
»Ja, ich bin irgendwie eingenickt.«
»Was hast du denn hier Interessantes?« Sie nahm den Zettel in die Hand.
»Eine chiffrierte Botschaft. Aber ich blick da nicht durch. Völlig unmöglich, das zu entschlüsseln. Ich schaff es einfach nicht.«
»Ich kann das auch nicht. Das kann keiner. Aber für diesen Müll wird es doch wohl Experten bei euch geben, oder?«
»Sicher. Die können sich morgen damit beschäftigen.«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
»Kann das für dich sein?«, fragte Susanne und ging in den Flur, um abzuheben.
»Nee. Glaub nicht.«
Susanne meldete sich mit leiser Stimme. »Ja? – Ach du bist’s, Ben. Was gibt’s denn?«
Nach dem Bruchteil einer Sekunde wurde sie laut. »Wie bitte? Du hast das Ding geknackt? Ja, wie denn? Und was steht da?«
Melanie amüsierte sich königlich.
Als ihre Mutter in die Küche zurückkehrte, war sie wütend. »Ben hat den Brief entschlüsselt. Aber er sagt mir erst morgen im Büro, was da steht. Sicher ist jedenfalls, dass der Mörder ihn geschrieben hat.«
»Da hast du ja einen richtig cleveren Assistenten«, meinte Melanie immer noch grinsend. »Der ist echt gut, der Junge, den würde ich mir an deiner Stelle warmhalten. Und dass er dich jetzt noch bis morgen früh auf die Folter spannt, find ich echt cool. Nacht, Mama, ich muss morgen früh raus.«
Damit entschwand Melanie und ließ Susanne fassungslos zurück.
Susanne konnte nicht schlafen. Sie warf sich von einer auf die andere Seite, zog die Bettdecke bis über beide Ohren, konnte sich aber nicht entspannen. Ihr Herz klopfte wie wild, und sie fing an zu schwitzen. Also deckte sie sich wieder ab und fing nach wenigen Minuten an zu frieren. Um vier ging sie auf die Toilette und zog ein trockenes T-Shirt an. Zum Schlafen trug sie immer die T-Shirts ihres Exmannes, die mehrere Nummern zu groß waren und aussahen wie ein superkurzes Nachthemd.
Es war ihr klar, dass sie nicht schlafen konnte, weil sie so wütend war, dass Ben sie bis zum Dienstbeginn am Morgen quälen wollte. Er wusste, dass sie vor Neugier fast platzte, und kostete seinen Triumph so ekelhaft brutal aus, dass sie schon gar keine Lust mehr hatte, ihn zum Essen einzuladen. Aber da kam sie wohl nicht drum herum.
Der Wecker klingelte um sieben, und Susanne hatte das Gefühl, in der letzten halben Stunde endlich im Tiefschlaf gewesen zu sein, aus dem sie jetzt gerissen wurde. Sie fühlte sich wie zerschlagen, als sie ins Bad schlurfte, um sich schnell die Zähne zu putzen und dann bei der ersten Tasse Kaffee Melanie bei ihrer obligatorischen Nutellafresserei zuzusehen. So blieben ihr wenigstens ein paar Minuten mit ihrer Tochter.
Aber Melanie war wenig gesprächig und antwortete fast auf jede Frage nur mit »Lass mich zufrieden, um diese Zeit hab ich keinen Bock auf irgendwas«.
Als Melanie weg war, duschte sie kurz, zog sich Jeans an, streifte sich ein T-Shirt über und brauste
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