Nachtprinzessin
Kollegen als Zeugen, wenn was ist …«
»Wenn was ist!« Gabriella stemmte die Fäuste in die Taille und sah aus wie eine Furie. »Auf Giglio ist es wahrscheinlich noch aufregender als hier in Ambra! Du wirst täglich in wilde Schießereien verwickelt sein und alle Hände voll zu tun haben, tesoro!«
»Warum kannst du nicht einmal sachlich über irgendetwas reden?«
»Himmel, Neri, das ist doch alles ein Witz! Ich weiß ein bisschen was von Giglio, eine Freundin von mir war mal da. Giglio ist sehr überschaubar, wie man so schön sagt, da gibt es drei kleine Orte, und aus die Maus. Jeden Tag kommen ein paar Touristen, klettern auf den Klippen herum und schippern wieder nach Hause. Ein paar machen da auch Urlaub, aber durchschnittlich nicht länger als drei Tage. Weil sie nämlich dann bereits jeden Stein auf der Insel wie einen alten Freund begrüßen. Da ist seit Jahrtausenden nichts passiert, Donato, und da wirst du dich sicher nicht überarbeiten. Denn im Gegensatz zu Giglio ist Ambra ja regelrecht die Hochburg der Kriminalität!«
»Willst du nicht mitkommen?«, fragte Neri kleinlaut.
»Und was soll ich da drei Wochen lang tun, wenn mein Gatte acht Stunden lang am Strand seine Uniform spazieren führt?«
»Dich erholen, faulenzen, dicke Bücher lesen, was weiß ich. Einfach mal Urlaub machen, Gabriella. Abschalten. Ich glaube, es gibt keinen schöneren Flecken auf dieser Welt als Giglio.«
»Va bene. Und was machen wir mit Oma? Vorher vergiften? – Nein, mein Schatz, das ist alles Blödsinn. Du wirst einfach hingehen und denen sagen, dass du nicht kannst. Du hast bereits einen Urlaub gebucht, da sollen sie sich einen andern suchen, der frei ist. Du bist es nicht!«
»Das kann ich nicht machen, Gabriella!«
»Warum nicht?«
»Weil es, wie ich dir schon gesagt habe, ein Befehl und keine freundliche Nachfrage war! Und weil ich schon zugesagt habe!«
»Was bist du doch für eine Pfeife!«, schrie Gabriella, und es war ihr in diesem Moment egal, ob Oma gleich in der Tür auftauchen würde oder nicht. »Immer ziehst du den Schwanz ein! Mit dir kann man alles machen! Wenn dir ein Vorgesetzter sagt: Spring aus dem Fenster!, dann springst du. Nach dem Motto: Ist mein Vorgesetzter ja selber schuld, wenn ich tot bin!« Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, dass es heftig klatschte. »Erzähl mir doch jetzt hier keine Opern von wegen Befehl! Nur du lässt dir alles gefallen! Ich schwör dir, alle anderen haben gesagt: ›Capo, es tut mir leid, aber meine Kinder haben Ferien, ich hab Urlaub am Meer gebucht, den kann ich nicht absagen, meine Frau und meine Kinder bringen mich um …‹, und fertig. Weil sich nämlich alle andern nicht so auf der Nase herumtanzen lassen wie du. Du stellst dich hin und sagst: ›Aber natürlich, Chef!‹ – ›Selbstverständlich, Chef!‹ – ›Geht in Ordnung, Chef!‹, anstatt mal anständig mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Mein Gott, Neri, was bist du doch für ein Schlappschwanz!«
Das stimmte natürlich. Er hatte die Sache akzeptiert und gar nicht erst versucht, sie abzuwehren. Weil er sich im ersten Augenblick auch ein bisschen geehrt gefühlt und gedacht hatte: Ganz so schlecht kann meine Arbeit hier in Ambra wohl nicht sein, sonst würden sie ja einen anderen schicken.
Neri schwieg. Auf Gabriellas Ausbrüche konnte er nie etwas erwidern.
Nach einer Weile stand er auf. Von dem Brot, der Salami, dem Öl und den Oliven auf dem Tisch hatte er nichts angerührt.
»Was machst du?«, fragte Gabriella.
»Der Schlappschwanz geht ins Bett«, meinte Neri und stieg schwerfällig wie ein alter Mann die Treppe hinauf.
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Giglio, August 2009
Wie auf einem Gemälde thronten weiße Schaumkronen auf den Wellen und standen im reizvollen Kontrast zum tiefblauen Himmel. Die Dünung war sanft und gar nicht zu sehen, nur wenn man sich mit dem Schiff direkt in den Wellen befand, sah und spürte man, wie das Schiff vom bewegten Meer leicht gehoben und gesenkt wurde.
Das Wetter war fabelhaft, der Wind hatte sich gelegt und wehte im Gegensatz zum Tag zuvor nur noch mit Windstärke zwei, in Böen drei.
Das ist ja scheußlich, dachte Neri. Wenn ich das gewusst hätte, dass so eine fürchterliche Überfahrt auf mich zukommt, hätte ich mich schon deswegen nie auf diese Insel eingelassen.
In seiner Fantasie stellte er sich vor, dass jetzt einige Hundert Meter tiefes Wasser unter dem Schiff waren. Das war schon allein eine gruselige Vorstellung, aber wenn er sich
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