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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Hätte man sie zu einem Interview mit Charles Manson gelassen, hätte sie anschließend vermutlich gesagt: »Ich wusste gar nicht, dass er Bambus mag!« Es war zum Verrücktwerden.
    Wir verließen das Flughafengelände und fuhren durch ödes Land. Männer beobachteten von rostigen Brücken herab, wie unter ihnen auf den Gleisen verdreckte Güterzüge rangierten. Schlote stießen schwarze Rauchwolken aus, während Hank uns lang und breit auseinander setzte, wie er Schinken räucherte. Ich wollte wissen, wie es war, für Tante Monie zu arbeiten, aber meine Mutter fuhr sofort dazwischen. »Schinken!«, sagte sie. »Also nun sprechen Sie meine Sprache.«
    Die Landschaft wurde allmählich ansehnlicher, und als wir Gates Mills erreichten, war die Welt wie gemalt. Herrliche Bäume mit wuchtigen Stämmen umstanden Häuser aus Stein und getünchten Ziegeln. Ein Paar in leuchtend roten Jacken ritt auf Pferden mitten auf der Straße, und Hank fuhr langsam vorbei, um die Tiere nicht zu erschrecken. Wir befinden uns, sagte er, in einem Vorort, und ich dachte, er benutze das falsche Wort. Vorort bedeutete Holzhäuser und Straßen, die nach den Gattinnen und Freundinnen der Planer benannt waren: Laura Drive, Kimberly Circle, Nancy-Ann-Sackgasse. Wo waren die Boote und Wohnmobile vor der Haustür, die Briefkästen in der Form von Höhlen, Bankfächern oder Iglus?
    »Und... stopp«, flüsterte ich, als der Wagen eine unmerklich bescheide nere Version von Windsor Castle passierte »Und... stopp .« Ich hatte Angst, wir könnten an dem Prunkstück vorbeifahren und in einer gesichtslosen Gegend wie bei uns zu Hause landen. Hank fuhr trotzdem weiter, und ich fürchtete schon, Tante Monie gehörte zu der Sorte Reiche, die das schlechte Gewissen plagt Von ihnen las man manchmal in der Zeitung, sie arbeite ten freiwillig in sozialen Brennpunkten und taten auch sonst alles, um bloß nicht aufzufallen. Das Gespräch hatte sich von Schinken auf Würste verla gert und war nun versuchsweise beim Thema Grillen gelandet, als der Cadillac von der Straße abbog und auf das zweifellos edelste Haus am Platze zusteuerte. Es war die Sorte Gebäude, wie man sie auf der Umschlagseite eines Collegewerbeprospekts findet: das Dekanatsgebäude oder die Ruhmeshalle. Efeu rankte an Steinmauern empor, und Fensterscheiben in der Größe von Spielkarten glitzerten in der Sonne. Sogar die Luft roch würzig nach faulendem Laub, durchsetzt mit einer feinen Note, die ich für Myrrhe hielt. Es gab keinen Irrgarten oder einen Brunnen mit den Ausmaßen eines Gartenteichs, aber der Rasen war makellos gepflegt und umschloss ein zweites, kleineres Haus, das Hank als »die Remise« bezeichnete. Er lud un sere Taschen aus dem Kofferraum, und wir standen wartend daneben, als die beiden Reiter vorbeiritten und zum Gruß mit der Hand an ihre Samtkappen tippten. »Hört ihr das?«, fragte meine Mutter. Sie schlug ihren Mantelkragen eng um den Hals. »Findet ihr das Geklapper von Pferdehufen nicht auch himmlisch?«
    Das taten wir.
    Ein Dienstmädchen namens Dorothy trat aus dem Haus und begrüßte uns, und als sei meine Schwester blind und nicht in der Lage, solche Wunder mit eigenen Augen zu sehen, drehte ich mich zu ihr und flüsterte: »Sie ist weiß. Und sie trägt Dienstkleidung «
    Die Dienstmädchen in Raleigh trugen vielleicht Hosenanzüge oder aus rangierte Schwesternkittel, aber das hier war das einzig Wahre: ein gestärk tes schwarzes Kleid mit weiß abgesetzten Ärmelaufschlägen und weißem Kragen. Außerdem trug sie eine Schürze und eine etwas unvorteilhaft wirkende Kappe, die wie ein kleines Kissen auf ihrem Kopf thronte.
    Gew öhnliche Dienstmädchen murmelten leise vor sich hin, aber Dorothy sprach laut und deutlich. »Mrs. Brown ruht noch«, sagte sie. »Mrs. Brown wird in Kürze hier sein.« Wie bei einer Sprechpuppe, schien sich ihr Beitrag zur Konversation auf wenige Sätze vom Band zu beschränken. »Ja, Ma’am«, »Nein, Ma’am«, »Ich lasse den Wagen vorfahren.« Bis Mrs. Brown aufgestanden war, wurden wir mit Räucherlachsschnittchen und Kartoffelsalat verpflegt. Ich schlug vor, wir sollten uns ein wenig umsehen oder zumindest einen Fuß außerhalb der Küche setzen, aber mein Vorhaben stieß auf wenig Gegenliebe. »Mrs. Brown ruht noch«, sagte Dorothy. »Mrs. Brown wird in Kürze hier sein.« Es dämmerte bereits, als Tante Monie in der Küche anrief und wir ins Wohnzimmer vorgelassen wurden.
    »Was für ein Albtraum, hier Staub zu wischen«, sagte

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