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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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hatte zuvor die Trophäen durchs Fenster betrachtet, schlich ich zwischen den Büschen vor dem Haus umher und sah, wie Mrs. Brightleaf, die als Halbtagspflegekraft eingestellt war, Tante Mo nies Lammkotelett in kleine Bissen zerteilte. Die beiden saßen an dem kleinen Klapptisch im Wohnzimmer, gleich unter dem Porträt von Ehemann Nummer zwei, der mit einem Bein auf einem erlegten Nashorn kniete. Meine Mutter kam aus der Küche ins Zimmer, und ich war überrascht, wie fremd und deplatziert sie zwischen dem Pflegepersonal und den muschelförmigen Couchtischen wirkte. Bisher hatte ich immer angenommen, man brauche lediglich ein vollständiges Gebiss, um sich frei zwischen den sozialen Klassen zu bewegen und ohne große Anstrengung vom Hof ins Herrenhaus zu wechseln. Jetzt schien sich dies als Irrtum zu erweisen. Ein Leben wie das von Tante Monie erforderte nicht nur viel Übung, sondern auch ein natürliches Talent zur Selbstdarstellung, etwas, das nicht allen Leuten gegeben ist. Meine Mutter schwenkte ihr Cocktailglas, und als sie sich lachend auf den Nachttopfstuhl meiner Tante setzte, wusste ich, dass alles umsonst gewesen war.
    Sonntagnachmittag brachte Hank uns zurück zum Flughafen. Tante Monie setzte ihren unaufhaltsamen Verfall fort und starb am ersten Frühlingstag. Meine Eltern nahmen an der Beerdigung teil und machten sich einige Monate später noch einmal auf den Weg nach Cleveland, um die Erbschaft zu regeln, mit den Anwälten zu sprechen und dies und das zu erledigen. Sie flogen mit dem Flugzeug hin und kamen eine Woche später mit dem silbernen Cadillac zurück, meine Mutter mit roten Hitzestreifen über den Knien von der Felldecke. Wie es aussah, hatte man sich an sie erinnert – und zwar herzlich –, aber sie war durch nichts dazu zu bewegen, die genaue Summe zu nennen.
    »Ich sage eine Zahl, und du zeigst mit dem Daumen nach unten oder nach oben«, schlug ich vor. »Eine Million?«
    »Ich verrate nichts.«
    »Anderthalb Millionen?«
    Ich weckte sie vorsichtig mitten in der Nacht, in der Hoffnung, sie w ürde im Halbschlaf reden. »Zwei Millionen? Siebenhunderttausend?«
    »Ich verrate nichts.«
    Ein Freund gab sich am Telefon als Mann vom Finanzamt aus, aber meine Mutter wusste gleich, was los war. Leute vom Finanzamt hörten im Dienst offenbar selten Jethro Tull, und sie sagten auch nie am Telefon: »Ich habe da nur eine ganz kurze Frage.«
    »Aber ich muss es wissen, damit ich es weitersagen kann...«
    »Genau deshalb verrate ich es dir nicht«, sagte meine Mutter.
    Ich arbeitete zu der Zeit in einer Caf éteria, ging aber außerdem einmal in der Woche zum Babysitten zu einer Familie, die ich bereits seit der siebten Klasse kannte. Die Kinder verachteten mich, aber ihre Abneigung hatte et was so Vertrautes, beinahe Tröstliches, dass ihre Eltern mich weiter kommen ließen. Ihr Kühlschrank war stets gefüllt mit Delikatessen: Bratenscheiben und Käse aus dem Feinkostladen, Artischockenherzen im Glas. Als ich eines Abends von der Frau mein Geld bekam, sagte ich, meine Großtante sei gestorben, und wir hätten jetzt einen Cadillac und eine Schoßdecke aus Fell. »Geld haben wir auch bekommen«, sagte ich. »Eine ganze Menge.« Ich dachte, die Frau würde mich in den Club der Leute mit gut gefüllten Kühlschränken aufnehmen, doch sie verdrehte bloß die Augen. »Einen Cadillac«, sagte sie. »Mein Gott, typisch nouveau riche.«
    Ich war mir nicht sicher, was nouveau riche bedeutete, aber es klang nicht besonders verlockend. »Dieses kleine Miststück«, sagte meine Mut ter, als ich ihr die Geschichte erzählte, und dann schnauzte sie mich an, warum ich überhaupt davon angefangen hätte. Eine Woche später war der Ca dillac verkauft. Ich gab mir dafür die Schuld, doch es stellte sich heraus, dass meine Eltern ohnehin vorgehabt hatten, den Wagen loszuwerden. Meine Mutter kaufte sich ein paar schicke neue Kostüme. Sie füllte den Kühlschrank mit Aufschnitt aus der Feinkostabteilung, aber sie kaufte weder einen Diamanten noch ein Sommerhaus am Strand oder irgendeins von den anderen Dingen, die wir erwartet hatten. Eine Zeit lang diente das Geld als Drohkulisse. Hatten sie und mein Vater sich wegen irgendeiner Klei nigkeit gestritten, und mein Vater ging lachend aus dem Raum – seine Art, einen Streit zu beenden, indem er so tat, als sei der andere nicht zurech nungsfähig und alles weitere Reden zwecklos –, rief meine Mutter ihm hin terher: »Glaube bloß nicht, ich säße hier fest! Da bist du

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