Nachtprogramm
der Typ vor Selbstsicherheit nur so zu strotzen. Auf dem Kaminsims stand ein furzender, batteriebetriebener Fäkalienklumpen, und Pauls Spitzname Rooster zierte den Wohnzimmerboden, die hellgrün gestrichenen Wände und seine musizierenden Schneidemesser. »Von durchgeknallt keine Spur«, versicherte ich ihm und stolperte über ein Krokodil aus Beton. Das Haus war viel zu groß für eine einzige Person, deshalb war ich erleichtert, als ich hörte, dass eine Freundin in Begleitung einer älteren Mopshündin namens Venus bei ihm eingezogen war.
Mein Bruder überschlug sich fast vor Begeisterung. »Willst du mit ihr reden? Bleib dran, ich hol sie ans Telefon.«
Ich stellte mich darauf ein, die Stimme eines Mädchens aus North Carolina zu hören, ähnlich wie die Pauls, nur ein bisschen tiefer, doch stattdessen hörte ich ein Geräusch wie von einer Kettensäge, die sich hartnäckig durch einen Baumstumpf frisst. Es war Venus. Monate später verband er mich am Telefon mit dem neuen Hund seiner Freundin, einer sechs Wochen alten Dänischen Dogge, die Diesel hieß. Ich redete mit den draußen lebenden Katzen, den Hauskatzen und mit dem von der Straße aufgelesenen Ferkel, das so lange eine gute Idee zu sein schien, bis es die erste feste Nahrung zu sich nahm. Erst nachdem Paul schon über ein Jahr mit seiner Freundin zusammenlebte, lernte ich sie schließlich kennen, eine ausgebildete Friseuse namens Kathy. Wenn man sich die Tattoos und das Nikotinpflaster wegdachte, erinnerte sie an eine der weltentrückten flämischen Madonnen mit einem kläffenden Mops statt des üblichen Christuskinds im Arm. Ihre Anmut, ihr Humor, ihre pelzbesetzten Pullis – wir mochten sie auf Anhieb. Das Beste aber war, dass sie aus dem Norden stammte. Sollten sie und Paul also je ein Kind bekommen, standen die Chancen fünfzig zu fünfzig, dass es verständliches Englisch sprechen würde. Sie gaben ihre Verlobung bekannt und planten für Ende Mai ihre Hochzeit, die den griechischen Teil der Familie schwer enttäuschte. Sie würde nicht in der Holy Trinity Church stattfinden, sondern in einem Hotel an der Küste von North Carolina. Die Trauung würde von einer Esoterikerin vollzogen, deren Nummer sie aus dem Telefonbuch hatten, und für die Musik sollte ein DJ namens J. D. sorgen, der unter der Woche in der städtischen Strafanstalt auflegte. »Nun denn«, seufzte meine Patentante. »Ich denke, so machen die jungen Leute das heute.«
Ich kam zwei Tage vor der Hochzeit von Paris herübergeflogen und saß in der Küche meines Vaters, als Paul in Anzug und Krawatte vor der Tür stand. Ein ehemaliger Klassenkamerad von der Highschool hatte sich das Leben genommen, und auf dem Nachhauseweg von der Beerdigung war ihm die Idee gekommen, kurz vorbeizuschauen. Seit unserer letzten Be gegnung hatte mein einst schlanker Bruder gute sechzig Pfund zugelegt. Er war rundum fülliger geworden, doch war ein Großteil der hinzugewonnenen Pfunde in Gesicht und Rumpf gewandert, was er als die so genannte Spiegelkrankheit bezeichnete: »Mein Bauch ist so fett, dass ich meinen Schwanz nur noch im Spiegel sehen kann.«
Der zusätzliche Speck hatte gewisse Körperpartien abgepolstert und andere gänzlich verschwinden lassen. Den Hals zum Beispiel. Von einem Doppelkinn verdeckt, schien sein Kopf direkt auf seinen Schultern zu balancieren, und er bewegte sich so vorsichtig, als hätte er Angst, er könnte runterfallen Ich redete mir ein, wenn mein Bruder irgendwie verändert wirkte, müsse das am Anzug und nicht am Gewicht liegen. Er war jetzt ein gestandener Mann Er würde in Kürze heiraten, und deshalb hatte sich auch seine Person verändert.
Er trank einen Schluck von dem dünnen Kaffee meines Vaters und spuckte ihn zurück in den Becher. »Die Brühe ist wie eine Nummer im Pool.«
»Wie bitte?«
»Mehr Wasser als Pulver.«
Vielleicht, dachte ich, liegt es doch eher am Gewicht.
Früh am nächsten Morgen fuhr ich mit Lisa und ihrem Mann Bob zur Küste. Als die älteste und einzig verheiratete von uns Geschwistern hatte sie die Chance ergriffen und die Doppelrolle der erfahrenen älteren Schwester und designierten Bräutigammutter übernommen. Erwähnte man nur die Namen Paul, Kathy oder Atlantic Beach, flossen bei ihr die Tränen, und sie schluchzte: »Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch erle be.« Von Morehead City aus weinte sie so ziemlich in einer Tour, ausgelöst durch die Wahrzeichen unserer Jugend. »Oh, die Brücke! Der Pier! Der
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