Nachtruf (German Edition)
schüttelte den Kopf. „Officer Dumas wird bei Ihnen bleiben. Er wird da sein, wenn Sie von Ihrer Sendung zurückkommen.“
Rain erkannte die beiden Polizisten im Wagen wieder. Sie bewachten ihr Haus nachmittags. Ihr Streifenwagen parkte für gewöhnlich unter dem Pekannussbaum auf der anderen Straßenseite gegenüber ihrem Haus.
„Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Etwas Eistee oder Limonade?“
Beide Männer hoben gleichzeitig ihre Sodadosen hoch.
„Wir haben einen Abstecher zum Supermarkt um die Ecke gemacht. Trotzdem danke“, erwiderte der junge Mann. „Wir ziehen sowieso gleich ab. Schichtwechsel.“
Sein Kollege auf dem Beifahrersitz war grauhaarig, hatte einen Schnurrbart und einen leichten Bauchansatz. Mit einem freundlichen Nicken berührte er den Schirm seiner Uniformmütze, dann rollte der Wagen weiter.
Rain ging vor ihrem Haus die wenigen Stufen zur Veranda hoch, die von eindrucksvollen weißen Säulen getragen wurde. Als sie die Glastür am Eingang aufschloss, weckte ein unbekannter Gegenstand ihre Aufmerksamkeit. Eine stilvoll verpackte Box stand an das schmiedeeiserne Geländer gelehnt, halb verborgen hinter einem Azaleenstrauch. Von der Straße aus war die Schachtel nicht auszumachen. Rain kannte die charakteristische silberne Verpackung mit der blauen Satinschleife. Die Box stammte offensichtlich von Mélange , einem exklusiven Geschenkladen im Quarter.
Sie nahm die Schachtel mit hinein und stellte sie auf dem Queen-Anne-Tisch in der Diele ab. Neugierig entfernte sie die Schleife. Der Deckel ließ sich leicht öffnen. Unter einer Schicht Seidenpapier entdeckte sie eine wunderschöne Kristallvase von Lalique . Eine Karte war auch dabei – eine Nachricht von Dr. Carteris, der ihr die Vase als Ersatz für die anbot, die sein Sohn zerbrochen hatte. Wenn Oliver seinem Vater von der Vase erzählt hatte, dann sprachen die beiden offenbar zumindest miteinander,mutmaßte Rain. Hoffentlich würde Oliver sich bald bei ihr melden, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Falls nicht, würde sie die Sache dem Gericht melden müssen.
Rain trug die Vase in die Küche, stellte sie auf die Theke und machte sich daran, ein kleines Abendessen zuzubereiten. Sie nahm einen Kupfertopf vom Hängegestell und stellte ihn in die Spüle, drehte den Wasserhahn auf und ließ Wasser in den Topf laufen. Sie wollte Pasta kochen. Nebenbei schaltete sie den kleinen Fernseher ein, um die Abendnachrichten zu sehen.
Sie hörte das Knarren der Holzdielen hinter sich erst, als es zu spät war. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als plötzlich eine behandschuhte Hand ihren Mund zudrückte und sie nach hinten gegen eine harte Brust gerissen wurde. Ein kräftiger Arm schloss sich um ihre Taille, und sie wurde hochgehoben.
Panisch versuchte sie, die Finger in dem Lederhandschuh von ihrem Mund zu reißen, während sie durch die Bogentür aus der Küche gezerrt wurde. Rain klammerte sich an den Türrahmen, doch der Mann löste ihren Griff mit Leichtigkeit. In der Diele trat sie mit aller Kraft gegen den Queen-Anne-Tisch und hoffte, er würde umstürzen und dabei genug Krach machen, damit die Officers draußen aufmerksam wurden. Wenn sie überhaupt noch da waren. Aber der Tisch schwankte nur kurz.
Der Mann steuerte mit ihr in Richtung Treppe. Wollte er etwa ins Schlafzimmer? Eiskalte Angst ergriff sie.
Als sie die erste Stufe erreichten, fasste Rain nach dem Geländer. Es gelang ihr, sich aus dem Griff des Mannes zu winden und zu flüchten. Doch sie kam nur wenige Schritte weit. Mit einem Satz stürzte er sich wieder auf sie. Ihr Schrei nach Hilfe erstarb abrupt, als er mit ihr zusammen auf den Parkettboden des Wohnzimmers krachte. Der heftige Aufprall raubte ihr den Atem.
Unvermittelt drehte er sie auf den Rücken. Mit starrem Blick nahm sie eine männliche Gestalt wahr. Der Kerl hatte eine Skimaske übers Gesicht gezogen, und nur Augen und Mund waren zu sehen. Die Pupillen des Mannes glühten rot aus derMaske hervor. Rain starrte ihn ungläubig an. Die Bilder der toten Frauen von den Fotos, die brutal durchschnittenen Kehlen und aufgeschlitzten Körper blitzten in ihrer Fantasie auf. Sie stellte sich vor, wie sich ihre Kehle mit Blut füllte.
Das kann nicht wahr sein.
Das Gewicht seines Körpers drückte sie auf den Fußboden, ihre Schulter klemmte schmerzhaft im Türrahmen am Fuß der Treppe.
„Schrei noch mal, und ich werde dich töten.“ Sein Griff um ihren Hals verstärkte sich. Er setzte sich auf sie. Sein
Weitere Kostenlose Bücher