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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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Lunch waren wir eingeladen, meine Verflossene und ich. Philip hatte gesagt, eine Flasche Whisky wäre das willkommenste Geschenk, die hatte ich also dabei. Was Philip mir nicht erzählt hatte, war, daß dieFlasche am Ende des Lunches leer sein würde. Ich selbst trinke mittags nichts Hochprozentiges, und auch die Frauen blieben beim Wein. Ein Film war es nicht, das ist das Alltagsleben nie, aber manchmal sollte man versuchen, Szenen aus dem Alltagsleben wie einen Film zu betrachten. Dann legt sich ein eigentümlicher Glanz darüber, einzelne Fragmente des Dialogs scheinen von einem zweitklassigen, aber nicht unwitzigen Drehbuchautor geschrieben zu sein, das Mikrophon pickt auch die Gespräche heraus, die nicht im Skript standen, und die Kamera hat hin und wieder einen weiten Schwenk gemacht, der bis zu der felsigen Insel in der Ferne reichte, hat den Kopf eines einsamen Schwimmers aufgezeichnet, der gegen die Wellen ankämpft, und hat dann Mollys sehr blasses Gesicht genau in dem Augenblick herangezoomt, als Heinz von ihr als »dieser Garnele« spricht, die noch immer kein Wort Niederländisch kann. Vielleicht war er bei dieser zweiten Begegnung noch mehr Schwein als bei der ersten, doch meine Transformation hatte bereits begonnen. Wenn es stimmt, daß es eine Liebe gibt, die nichts mit Eros zu tun hat, und wenn es auch stimmt, daß Platon gesagt hat, Liebe ist nicht in dem, der geliebt wird, sondern in dem, der liebt, dann hatte ich begonnen, schon damals, diesen Mann, der immer mehr Ähnlichkeit mit einem Bacchanten bekam, diesen verwilderten Trunkenbold, der nie volltrunken wurde,zuzulassen zu … ja, wozu? Ich habe außerordentlich wenig Lust, von mir selbst zu sprechen, aber etwas werde ich doch sagen müssen. Zu einer Gruppe intimer Freunde? Habe ich eigentlich nicht. Ich habe hier und da auf der Welt Menschen, Mann/Frau, die das Salz meines Daseins ausmachen, um es mal so zu nennen. Eine halb kulinarische Metapher, sie bringt einen nicht viel weiter, aber trotzdem. Menschen, um die man trauert, wenn sie sterben, aber auch, und darum geht es, schon vor diesem fatalen Abschied, Wesen, um die man bereits trauern kann, während man noch über sie lacht. Menschen, die verletzlich sind, verwundete Idioten, Frauen, die ihr Schicksal herausfordern, Ritter von der traurigen Gestalt, Männer, die von einem Nimbus des Unglücks umgeben sind. Ich will nicht wissen, was das über mich sagt, es soll mich nicht heilig machen, vielleicht ist es Mitgefühl, und vielleicht bin ich die Aasfliege, die vom Leichengeruch angelockt wird, womöglich fühle ich mich angesichts der angekündigten Tragödie eines anderen sicher, weil die dann jedenfalls nicht mehr mir zustößt, wer vermag das schon zu sagen.

6

    Film. Der Vizehonorarkonsul hat sich in das Kinderplanschbecken gesetzt. Er singt. Es ist ein Lied ohne Worte. Sein Lieblingslied, ich werde es im Verlauf der Jahre noch Hunderte von Malen hören. Es klingt wie Blasmusik, Herolde, die den Einzug von Königen ankündigen. Ich habe es jetzt im Ohr, während ich schreibe. Der Schweinekopf hat das Schweinhafte verloren, mitten durch den Whisky und die Fettschichten hindurch taucht der Schemen von Clark Gable auf mit dem Bauch von Bacchus und einer nassen Haarlocke, die ihm schwungvoll über die halbe Stirn fällt. Bacchus, Heinz und Clark sind glücklich. Vielleicht war Heinz der einzige glückliche Trinker, den ich gekannt habe. Niemand konnte seine mélaina chole besser verbergen, er mußte sterben, bevor sie an die Oberfläche kam. Ich half Molly mit dem Abwasch, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Der Whisky war teuer, der Wein aus dem Supermarkt, billiges Zeug, das einem nach einiger Zeit den Stuhl unter dem Hirn wegzieht. Eine Kalbszunge hatte Molly zubereitet, so eine, die man zusammengerollt in einen Topf bettet, in dem sie dann rosa aufgebahrt liegt, unter bernsteinfarbenem Gelee, das seinerseits wieder von einem kodierten Sternsystem aus Zitronenstückchen und Petersilie illuminiert wird. Leicht säuerlich beißt sie nach dem Weinzurück. Kochen kann die Garnele, sagt Bacchus, aber sonst kann sie nichts. Nein, mach dir keine Sorgen, sie versteht kein Niederländisch . Da bin ich mir nicht ganz sicher, aber das englische Gesicht zeigt durch und durch Beherrschung. Darin hat sie Übung, und außerdem, aber das weiß ich erst später, auch hier ist Liebe in demjenigen, der liebt. Elle se maintenait encore en beauté. Wieder Chateaubriand. Über Lady Jersey, ein Name, der
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