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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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zu Molly gepaßt hätte. Zwei Kinder hatten sie, auf englischen Internaten, außer Reichweite der väterlichen Anarchie und der mütterlichen Angst. In den Ferien kamen sie ins Wunderland der grenzenlosen Freiheit, liefen halbnackt herum und konnten auf niederländisch fluchen. Das Gesicht von Molly, die nie in die Sonne ging, wurde dann pergamenten. Ihr einziger Trost waren ihr anderes Haus in einem luxuriösen Touristenghetto, in das nie jemand eingeladen wurde, und die Sonntagvormittage in der anglikanischen Kirche in der Innenstadt, Hymnen und ein echter englischer Vikar, die Strahlung des Heimwehs wirkte noch einige Stunden lang nach. Doch trotz allem liebte sie Heinz mit dem gleichen Feuer, mit dem 14/18 ganze englische Regimenter bei Ypern den Kugeln der deutschen Maschinengewehre entgegenliefen. Sie ließ es sich nur nicht anmerken.
    Über ihr Liebesleben wurde im Kreis der Engländer ausgiebig diskutiert, einst mußten sichleidenschaftliche Szenen abgespielt haben, aber das war zu der Zeit, als Heinz noch Gable war, nicht dokumentierte Prähistorie. Jetzt beschäftigte sich der englische Klatsch eher giftig mit logistischen Fragen, wie man es bloß machte mit so einem Bauch, you might as well try an elephant , und trotzdem, nicht zu glauben, wenn er sturzbetrunken auf die Tanzfläche tritt, hat er doch noch einen ganzen Schwung Mädels im Schlepptau. Falsch im Ton und falsch von Natur, wie schon gesagt. Und die Antwort auf ihre beschränkten Fragen war, dachte ich, einfach. Heinz war fun , und das konnte man von den meisten Männern nicht sagen. Er selbst drückte es eher seemännisch aus, was die Engländer dann aber wieder nicht verstehen konnten. Ich habe keinen Druck mehr auf meinem Ruder, sagte er einmal zu mir. Dann will man nichts mehr und fällt niemandem mehr zur Last. Ein bißchen tanzen, das ist nett. Ich seh die Mädels noch, tu aber so, als wären es Gemälde. Oder Anzeigen. Aber das war erst später.

7

    Jener erste Mittag wurde das Vorbild für alle anderen. Gegen Ende des Lunchs war die Whiskyflasche leer, dann kam die Stunde der Siesta. Das ließ sich noch am besten wie die Stimmung nach einer verlorenenSchlacht beschreiben: sauve-qui-peut, Rückzug aus Moskau. Jeder suchte buchstäblich das Weite, denn die Möglichkeiten waren begrenzt. Das Mäuerchen, das die Terrasse von den Felsen trennte, war schmal, da ließ sich Molly nieder, zwischen zwei der viereckigen Pfosten, die das Schilfdach stützen sollten. Sie lag da wie eine mittelalterliche Äbtissin in einem Prunkgrab, fehlte nur noch das Hündchen mit dem Familienwappen zu ihren Füßen. Heinz verschwand nach drinnen, wo das Ehebett oder das Ehebruchbett, je nachdem, mit einer tiefen Kuhle auf ihn wartete. Wenn andere Gäste da waren, verzogen sie sich meist an den nahen Strand, doch bei jenem ersten Mal war ich der einzige. Für mich blieb der Betonfußboden zwischen der Terrasse und dem WC.
    Von dort aus konnte ich im Liegen die neuen Apartments sehen, die hügelaufwärts übereinandergestapelt wurden. Heinz hatte mir mal ein Foto von vor dreißig Jahren gezeigt, Italien in den abgetragenen Kleidern des Faschismus, Armut, zögernder Wiederaufbau, noch kein Wirtschaftswunder in einem Deutschland, das erst die Trümmer beseitigen mußte, und somit auch keine deutschen Touristen. Der Hügel eine große Steinmasse, bewachsen mit Galläpfeln, Rosmarin, Euphorbien, Disteln und wildem Knoblauch, dazwischen Heinz’ einsame Fischerhütte, eine fast afrikanische Konstruktion aus einem einzigen weißverputzten Bogen, der obenspitz zulief. Die Terrasse vor seiner Hütte war sein eigener Beitrag zu den neuen Zeiten gewesen, jetzt wirkte diese altertümliche Form zwischen den kargen Neubauten wie eine Erinnerung an früher. Ich mußte geschlafen haben, denn plötzlich stand er über mir in einer zu großen Badehose, den Whisky noch in den Augen. Die Frage war, kannst du Kopfsprung? Auch davon gibt es ein Foto, denn sein Sprung war spektakulär. Er hatte sich den höchsten Punkt ausgesucht, und ich mußte mich neben ihn stellen. Auf einmal schien das wilde Wasser unter mir unangenehm tief, ich sah die gemeinen Felsvorsprünge und traute mich nicht. Er blieb stehen. Geh mal ein Stück weiter runter. So ist es geblieben, all die Jahre. Er ungefähr zwei Meter über mir, ich darunter, für mich immer noch beängstigend hoch, und sei es auch nur, weil ich nicht wußte, wie tief das Wasser da war. Tief genug. Außerdem mußte ich noch seinem Boot
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