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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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mélaina chol , die Spukgestalt der schwarzen Galle, die ihn unwiderruflich seinem Ende entgegentrieb, es war ein Wunder, daß er dabei so fröhlich blieb.

4

    Alles fing vor ungefähr dreißig Jahren an. Ich saß mit meiner damaligen Liebsten in einem Straßencafé am Hafen. Beflaggte Segelboote, eine Prozession auf dem Wasser, der erste Fischer mit einer Figur der heiligen Jungfrau, die anderen Fischer um ihn herum, Singen und Tuten, ein goldgekleideter Pfaffe, der das Meer mit Weihrauch segnete, heidnische Rituale, die hier wahrscheinlich schon vor Christus stattfanden, denn das Meer flößt Angst ein, die beschworen werdenmuß, und das geht nun einmal nicht ohne Priester. Wir müssen ein paar Worte miteinander gewechselt haben, denn plötzlich tauchte ein dickes, rotes Gesicht zwischen uns auf und verkündete: »ich verstehe alles, was ihr sagt«, was dann sofort dazu führt, daß man sich fragt, was man gerade Schändliches von sich gegeben hat. Nein, bei dieser ersten Begegnung wirkte Heinz nicht einnehmend, und ich hatte keine Lust auf seine Bekanntschaft. Er roch nach Gin, war nicht rasiert, hatte aber bereits den Kellner gerufen und etwas im Namen des Vaterlands bestellt. Warum kam es nach dieser ersten Begegnung zu einer zweiten und danach zu einer endlosen Reihe von Begegnungen, die in jener letzten auf seiner Terrasse gipfeln sollte, an einem Tag mit bleigrauem Wasser und Sturm? Die Antwort, denke ich, ist wieder ein Foto. Nicht dieses, sondern eines, das Molly mir mal gezeigt hat, Heinz am Tag ihrer Hochzeit, sein Gesicht noch nicht gezeichnet vom Alkohol, ein Seeräuber, Bukanier, Clark Gable, ein Mann, von Abenteuer umgeben, ein Freibeuter, in den sie sich einst verliebt hatte, einer, der an jedem Finger zehn Frauen haben konnte, weil solche Männer eine Freiheit ausstrahlen, die selten ist. Ich weiß noch, daß ich mir dieses Foto lange ansah. Das Wort schelmisch ist ausgestorben, zumal im Zusammenhang mit erwachsenen Männern, doch der, der da stand, groß, gut gebaut, ein Mann auf einem Segelboot, ein Glas in der einenHand und die andere am Ruder, das war der frühere Geist von Heinz Maximiliaan Schroeder, Vizekonsul Ihrer Majestät vor Ort, damals noch im Stand der Gnade, Libido und Humor intakt, vom Alkohol noch nicht eingeholt, schelmisch und, wieder so ein Wort, unschuldig, ein Hauch von Boshaftigkeit in diesen schrecklich blauen Augen, ein Mensch . Ich brauche anscheinend andere Sprachen, um mich ihm zu nähern. Und trotzdem, wenn ich sage ein Mensch , warum will ich dann verbergen, daß ich bei jenem ersten Mal, als sein rotes, betrunkenes Gesicht im Hafen neben mir auftauchte, sofort an einen Schweinekopf dachte? Die Welt des Bestiariums ist voll von hybriden Doppelformen, Pferde mit Menschenköpfen, Vögel mit Frauenbrüsten, ägyptische Götter mit Tiergesichtern, Adler mit Menschenkronen, der Minotaurus mit seinem bleischweren gehörnten Kopf auf diesem plötzlich so schmalen Männerkörper. Es ist die Zeit der Erbsünde, des mühsamen Abschieds von der Tierwelt, der Augenblick, da wir unsere Unschuld verloren. In unserem Heimweh nach dem zurückgelassenen Tierreich, dem wir entstammen, haben wir uns offenbar mit allen möglichen tierischen Wesen wenigstens teilweise identifizieren wollen, meines Wissens jedoch nie mit Schweinen, es sei denn in Karikaturen, um jemanden zu beleidigen.

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    Sein ältester Trick: eine Einladung in sein Sommerhaus am Meer, neben dem Pool. Und eine Fahrt mit seiner Motoryacht. Die Yacht war ein billiges Speedboot, das Sommerhaus eine weißverputzte, steinerne alte Fischerhütte, die Terrasse drei Meter lang, mit einem Schilfdach, der Pool ein in einer Terrassenecke eingemauertes Kinderplanschbecken mit einem Rand, der einem nicht einmal bis zum Knie ging, man konnte so eben darin sitzen, von Schwimmen keine Rede. Dort empfing er seine potentiellen Käufer, von denen nur wenige ihre Bestürzung verbergen konnten. Wenn sie dann doch noch etwas über den Pool sagten, wies er hinaus, aufs Meer. Die Hütte lag hoch über einer kleinen Bucht mit steilen Felsen, ein Teil des Spaßes bestand darin, von den Felsen ins Wasser zu springen, nicht ganz ungefährlich, weil vor allem im unteren Bereich scharfe Kanten vorstanden. Im Kopfsprung war er unübertroffen. Bei meinem ersten Besuch war das Wasser wild, sein Bügeleisen, wie er das kleine Speedboot nannte, zerrte im tosenden Wasser an den Leinen, mit denen Heinz es an zwei rostigen Haken im Fels festgemacht hatte. Zum

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