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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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ausweichen und den Leinen, mit denen es angebunden war. Ist keine Kunst. Ich zähle bis drei. Auf dem Foto sehen die beiden Springer aus wie Thunfisch und Makrele, mein Schemen neben seinem gewaltigen Körper, zusammen im Vogelflug. Er sprang mit geballten Fäusten, brach das Wasser auf, ich spürte, wie eine Welle mich wegdrückte. Erst lange nach mir tauchte er wieder auf, ein lachender Satyrkopf über den sich bewegenden grauen Wasserflächen. Kein Zweifel, ein glücklicher Mensch. Aberes sollte noch schlimmer kommen, denn danach mußte ich mit ins Speedboot. Ich erinnere mich an sein Jauchzen jedesmal, wenn wir donnernd auf eine Welle schlugen, als wollten wir das Meer martern. Wer gemartert wurde, war ich. Wegen des aufspritzenden Schaums konnte ich nichts mehr sehen, von Zeit zu Zeit flog das Bügeleisen ein Stück in die Luft und klatschte dann wieder hart aufs Wasser, das wie aus Stein schien, ich wurde hin und her geschleudert und durchgerüttelt, gefangen in einem Cakewalk, auf einer Todesfahrt ohne Ziel neben einem schreienden Verrückten, der natürlich noch immer betrunken war. Selbst bei schönstem Sommerwetter und ruhigster See wollte ich diese Erfahrung nie mehr wiederholen. Ich hatte jetzt gesehen, wer er war, ein daredevil , der vor nichts zurückschreckte, als suchte er den kürzesten Weg, um jener anderen Todesfahrt zu entkommen, die er für sich ausgedacht hatte.

8

    Er und ich, denn über mich selbst werde ich auch etwas sagen müssen, und das mache ich nicht gern, noch immer nicht. Nach einiger Zeit hat man das eine oder andere an sich selbst durchschaut, und das würde man am liebsten für sich behalten. Man schafft es nicht, aber davon träumt man: mit seinem kleinen,unbedeutenden Geheimnis zu verschwinden und die Tür hinter sich zuzuziehen. Auftrag erfüllt, wie immer der gelautet hat. Leben, wenn irgend jemand mir sagen könnte, was das eigentlich soll? Ich weiß schon lange nicht mehr, was Menschen sind, aber die letzten tausend Jahre waren auf jeden Fall ein gewaltiger Striptease für die Gattung. Aus dem Sonnensystem herauskatapultiert, die Erde in einen Hinterhof der Milchstraße verbannt, Gehirnfunktionen so ungebührlich angewachsen, daß wir alles über das wissen, was wir nicht wissen, Gott und seine Handlanger gestorben, und wir Lakaien mit auslöschbaren Namen im Dienste unsichtbarer Teilchen, damit beschäftigt, unser einziges Erbe zu verschleudern oder zu zerstören, während wir gleichzeitig in den Spiegel schauen. Das klingt natürlich nach der Abteilung Bombast, also räume ich gern den Platz für eine gefälligere Theorie. Aber wie dem auch sei, ich habe meinen Frieden damit. Zumindest vorläufig.

    Die Alpen sind heute in Regenschleiern verschwunden, die Bäume schon wieder etwas grüner als an dem Tag, als ich diese Geschichte ohne Geschichte zu schreiben begann, ich höre den Regen auf dem Dach und ein paar Vögel, die gegen ihn ansingen, und fühle mich im Einklang mit dem Universum, und sei es nur, weil es noch existiert. Das scheint im Widerspruch zu dem oben Gesagten zu stehen, aberdas ist es nicht. Und außerdem, Vögel versöhnen mich mit allem. Früher dachte ich, ich sei ein Dichter, doch das bin ich nur, wenn ich lese. Es dauert ein bißchen, ehe man dahinterkommt. Mein erster Gedichtband ertrank in der Flutwelle der Fünfziger, erst danach habe ich meine Berufung gefunden: Ich wurde die notwendige Ergänzung jedes Dichters, ein Leser. Davon gibt es nicht viele, nicht von Lyrik. Leser ist ein Beruf, aber davon wollen wir jetzt nicht sprechen. Ich lebe vom Schreiben. Nicht Holz macht ein Bett, sagt Aristoteles und meint damit, daß man die Dinge auseinanderhalten muß. Er hat recht, wie immer. Ein Zimmermann ist kein Bildhauer, und ich bin Zimmermann. Ich zimmere jedes Quartal eine teure Zeitschrift zusammen, ein Aushängeschild für eine jener gigantischen Kanzleien mit mindestens zehn Finanzexperten und Juristen, die die Zeitschrift selbst nicht lesen. Wer sie liest, weiß ich nicht, aber am Geld wird jedenfalls nicht gespart. Offset, die teuersten Fotografen und Designer, ein paar juristische Gurus, die ihre Aufwartung machen, und dann meine Spezialdisziplin, die Großen Namen. Kein einziger sagt jemals nein, sie stehen auf Abruf bereit. Gib den großen Fünf unserer nationalen Literatur ein abstraktes Thema und das Fünffache dessen, was sie von De Groene oder dem NRC bekommen, und sie werfen ihre freien Lanzen, todsicher. Mit dem Geld, das ich damit
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