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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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verdiene,kaufe ich, ohne daß sie es wissen, ihre Meisterwerke. Es gibt Formen von Glück, die für andere nicht klar ersichtlich sind, und eine davon ist die Anonymität. Vielleicht hat mich das bei Heinz angezogen. Er wußte etwas über sich selbst, und es kümmerte ihn nicht, oder, besser gesagt, er kümmerte sich nicht um sich. Das ist schlecht ausgedrückt, stimmt aber doch. In meinem Wohnturm auf der anderen Seite des IJ ziehe ich mein Theben um mich und lese. Und seit Heinz ein Haus für mich gefunden hat, fahre ich zweimal im Jahr nach Ligurien. Wie ich schon sagte, ein glücklicher Mensch.

9

    Heldentaten. Ein diplomatischer Zwischenfall. Der Trick mit der Brille. Die Angst vor dem Botschafter. Das Auto zwischen zwei Mauern. Tollens. Shangri-La. Angeln. Die Gefriertruhe des Supermarkts. Niederländer. Rufen Sie nur. Negative Heroik, nichts Erhebendes, nie vergessen. Der diplomatische Zwischenfall war exemplarisch, auch durch die Art und Weise, wie er ablief. Insgeheim war Heinz durchaus stolz auf seinen merkwürdigen Titel, vor allem wenn er zusammen mit den anderen »Diplomaten« aus irgendeinem offiziellen Anlaß eingeladen wurde. Die anderen, das Corps consulaire , waren einekleine Gruppe Honorarkonsuln, ein angeschimmelter Engländer, ein Spanier mit fünf Namen, ein pensionierter Amerikaner, der das zum Spaß machte, ein Franzose, der eine Schiffahrtsgesellschaft vertrat, ein Deutscher, der, wie Heinz, mit Land und Häusern makelte. Eine ihrer alljährlichen Zusammenkünfte fand auf einer Fregatte der italienischen Marine statt, die jeden September auslief, um einen Kranz ins Meer zu werfen, wegen irgendeiner Heldentat, die sich dort irgendwann einmal vor der Küste zugetragen hatte. Dabei waren ein paar Matrosen ertrunken, daher der Kranz und daher der Admiral, schon seit Jahren derselbe, schmückendes Beiwerk. Das Opfer, das Vaterland, der Friede, die Versöhnung, und dann der Kranz, der noch kurze Zeit schwamm, schließlich aber doch aufgrund des in ihm verarbeiteten Metalls langsam zu sinken anfing, wonach das Trinken beginnen konnte. September, das bedeutete, daß die Italiener noch diese weißen Uniformen trugen, auf denen ein Orden so wunderbar zur Geltung kam. Jemand, der dabeigewesen war, hat es mir später erzählt. Daß Heinz betrunken war, kümmerte niemanden, das waren sie nach einiger Zeit alle. Prosecco, Arneis, Barolo, Vinsanto, Grappa. Vielleicht war es dieses strahlende Weiß, vielleicht auch die Tatsache, daß sie beide Taucher und Segler gewesen waren, jedenfalls hatte Heinz plötzlich nach der Schüssel mit Spaghetti all’arrabiata gegriffen und sie demAdmiral mit dem Ausruf Basta la pasta! über den Kopf gekippt. Für einen kurzen Moment war es sehr still geworden. Durch ihren alkoholischen Stupor hindurch hatten die anderen gesehen, wie der Admiral bleich geworden und dann plötzlich aufgestanden war und den Niederlanden den Krieg erklärt hatte. Dabei hatte er Heinz in einem Würgegriff fest an sich gedrückt und auf die Wangen geküßt, wodurch die fettige rote Soße nun über beide verschmiert war, Zwischenfall beendet, noch mehr Grappa. Ohne dabeigewesen zu sein, sah ich Heinz’ Gesicht. Ich kannte ihn, wenn er betrunken war, sein Blick bekam dann etwas Herausforderndes, Lauerndes, mitsamt der versteckten Freude, die zur Überschreitung gehört, und der Gefahr, die sich daraus ergeben kann. Der Trick mit der Brille gehörte zu späteren Jahren, zum Beginn von Delirium, unsicherem Gang, zitternden Händen.
    Dann und wann mußte er in die Niederlande, ein Land, von dem er immer weniger wußte und begriff. Er fuhr dann in einem Rutsch bis zu einem kleinen Hotel irgendwo in der Gegend von Macon. Ich halte mich einfach am Lenkrad fest, sagte er dazu. Kein Problem, geht von allein. Hotel zur Ehrlichen Armut . Dort kannte man ihn und seinen durchsichtigen Trick. Wegen seines Tremors konnte er nicht mehr unterschreiben und rief dann, seine Brille sei irgendwo tief im Koffer vergraben, er müsse also erst mal kurz in sein Zimmer, um sie zu suchen. Er wußte,daß es da eine Minibar gab, trank schnell zwei von diesen kleinen Whisky- oder Cognacfläschchen, egal was, kämmte sich die Haare, unterschrieb unten am Empfangstresen und ging ins Dorf, um ein richtiges Glas zu trinken. Die anderen Geschichten waren ähnlich, fröhliche Abenteuer von strukturierter Betrübnis, wobei er sich immer öfter anstrengen mußte, um es durchstehen zu können. Ein Besuch in der Botschaft in Rom war
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