Nachts kommen die Fuechse
allein schon deshalb eine Zumutung, weil er auch dort zuerst trinken mußte, um seine Hände ruhig zu kriegen. Sonst denken sie noch, daß ich Parkinson habe, und dann kann ich’s vergessen. Und ich brauche dieses Schild. Und das Vertrauen.
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Wie er an diese Küste gekommen sei? Angeweht. Nie etwas getaugt, keine Schule abgeschlossen. Ich konnte nur segeln . Das zu seinem Beruf gemacht, Schiffe von Amsterdam und Hamburg ins Mittelmeer bringen, eigentlich ein Leben wie Gott in Frankreich. Segeln und Tauchen, das einzige, was ich konnte. Gekommen, geblieben. Ein Tanker von Onassis, etwas, was von einem Taucher untersucht werden mußte, ein Winterauftrag. Im Winter wird nicht gesegelt. Mich ein bißchen umgesehen. Jeden Tag im großen Café. Sie nennen es eine Stadt, aber eigentlich ist es ein großes Dorf. Im großen Café ein paar alte Männer.Männeken, sahen nach nichts aus. Spendierte ihnen immer einen Kaffee. Gern, vielen Dank. Sprachen Dialekt. Bis nach ein paar Monaten der Barkeeper sagte, Signore Cheinz, questi signori sono tutti milionari. Da saß der Großgrundbesitz der gesamten Umgebung. So bin ich da reingerutscht. Später kamen die Deutschen und die Engländer, aber ich kannte die Männer. Ich bin Cheinz. Mich haben sie lieber als alle diese englischen Schlitzohren. Ich weiß, wie ihre Kinder heißen und wer wo welches Stück Land hat .
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Doch es gab noch einen anderen Grund. Der hatte mit den Kindern zu tun, aber darüber sprach er nicht. Philip fing davon an. Wie er das tat, bewirkte, daß das, was er erzählte, sich in grauer Urzeit abgespielt zu haben schien, einer prähistorischen Zeit, in der noch nichts schriftlich festgehalten wurde und kein Datum gesichert ist. Die Wesen, die in jener Zeit lebten, gleichen Traumgestalten aus Legenden oder Märchen, vielleicht hat es sie gar nicht wirklich gegeben. Heinz war nicht allein, als er hier ankam, sogar dieser Satz hatte einen Klang, der eigentlich nicht zu Philips Stimme paßte. Es schien, als stimmte er ein antikes Instrument, auf dem jahrelang nicht gespielt worden war. Er hob an, so sagt man dazu. Jemand habe ihn, Heinz, begleitet, und das sei Ariellegewesen. So, wie er diesen Namen aussprach, wußte ich sofort, daß Arielle nicht nur tot war, sondern auch, daß ihr Tod tragisch gewesen war. Ich lese zuviel, wie gesagt. Mich überrascht nichts. Wie Licht sei sie gewesen, Arielle. Während er weitersprach, wurde mir klar, daß dieses Licht immer noch da war. In nichts habe sie zu Heinz gepaßt, es sei nicht gegangen. Er meinte damit: es durfte nicht sein. Eine Elfe, eine Lichtgestalt. Das sagte er nicht, aber ich sah es. Jemand, der nicht auf den Felsen zu Tode habe stürzen können, weil durchsichtige Menschen nicht sterben können. Zeichenunterricht habe sie den Dorfkindern gegeben, und sie habe die Kinder gezeichnet. Bei vielen Leuten kannst du die Bilder noch immer sehen, jeder hat sie rahmen lassen. Zur Beerdigung seien sie alle gekommen, aus der ganzen Gegend, in Schwarz, wie früher üblich. Heinz, den habe niemand verstanden. Der sei zu Stein geworden. Er sei zu jedem gegangen und habe nach Fotos von ihr gefragt. Die wolle er haben. Niemand habe sich getraut, ihm die zu verweigern. Jahre später habe er, Philip, ihn gefragt, was er damit getan hatte, und Heinz habe aufs Meer gedeutet.
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War es das? Saß diese Lichtgestalt neben ihm auf der Terrasse in den Wochen vor seinem Tod? War sie auch mit dabei, als er mit mir übers Meer raste, an jenem unglücklichen Tag? Als Molly seine Kinder bekam? War sie immer da? Auch wenn er nach der Siesta aus seinem Suff erwachte und sich erstaunt umblickte, als habe er die Welt noch nie zuvor gesehen und wolle sie auch lieber nie mehr sehen? Kaum begriff er, wie und was, als der Bär schon auf ihm saß, dieser Satz gehörte dazu, und den Bären bekam man nur los, indem man kopfüber ins Wasser sprang. Ist das zu einfach? Bestimmt, aber welche Methoden stehen uns eigentlich zur Verfügung, um in das Leben eines anderen vorzudringen, um Geheimnisse zu decodieren, Gedanken zu entwirren, hinter Masken zu schauen? Die Armut, die wir von schlechten Filmen oder möglicherweise auch nicht viel besseren Romanen geerbt haben, die Psychoklischees aus den Zeitschriften, imaginäre Couches, auf denen wir selbst nie würden liegen wollen, Spiegel, in denen keine einzige Wahrheit sichtbar wird, weil Lügen immer stärker sind. Log Heinz, weil er nie etwas sagte? Trank er, weil er unentwegt log? Hatte er eine
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