Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
losgeht?«
»Dass ich etwas höre, wo nichts ist!«
Bisher hatte Harris ihr ruhig zugehört, jetzt aber wirkte er angespannt, geradezu überfordert. Beunruhigt wechselte sein Blick zwischen dem Lenkrad und ihr, während er nervös sein rechtes Ohr knetete.
»Vielleicht solltest du darüber besser mit einem Psychologen reden!«
»Ich bin nicht irre, Harris!«
»Aber du sagtest doch eben, dass du Angst hast, dass es wieder …«
»Vergiss es, vergiss, was ich gesagt habe. Ich hab mich geirrt, ich bin durcheinander, ich …«
Einen Augenblick lang sah Harris ihr in die Augen, dann wandte er sich kopfschüttelnd ab und startete den Wagen.
26.
Sie hatten während der letzten Viertelstunde nicht mehr gesprochen, weder über den Tod ihres Bruders noch über ihren Ausraster. Harris hielt vor dem Haus und blieb, den Blick auf die Haustür gerichtet, sitzen.
Kurz nachdem sie losgefahren waren, begann der Himmel zu grollen, jetzt prasselte der Regen laut auf das Autodach, und ab und zu erhellten Blitze die Umgebung.
»Als ich noch klein war, durfte ich in solchen Nächten bei meinen Eltern im Bett schlafen. Ich hatte wahnsinnige Angst vor Gewittern. Nun ja, das ist bis heute so geblieben.«
Alexandras Blick war höchst flehentlich, aber da er keinerlei Anstalten machte auszusteigen, öffnete sie verdrossen die Autotür. Daraufhin stieg auch Harris aus und begleitete sie zum Haus. »Sei nicht sauer, aber …«
»Schon gut, verstehe!«, sagte Alexandra schnell, während sie das Gegenteil dachte. Nichts fürchtete sie momentan mehr, als die Nacht allein in ihrem Haus zu verbringen. Dennoch zwang sie sich zu einem tapferen Lächeln, schloss die Tür auf und ging hinein. Harris blieb davor stehen. Die Tür öffnete sich wieder.
»Ich wollte, dass du es weißt. Außer Nina kennt niemand diese Geschichte.«
Einen langen Moment sahen sie sich in die Augen, dann stellte Alexandra sich auf die Fußspitzen und näherte sich langsam seinem Gesicht. Sie sah Harris unentwegt an, doch kurz bevor ihre Lippen seinen Mund berührten, drehte er den Kopf zur Seite. Ihr Kuss ging ins Leere. »Entschuldige, ich hab das falsch interpretiert, ich dachte …«, stammelte sie beschämt.
»Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen.«
»Das hätte ich nicht tun dürfen«, sagte sie schnell und schlug rasch die Tür hinter sich zu.
Harris war bis auf die Haut durchnässt, als er wieder in seinen Wagen stieg. Er ließ den Motor an, wischte mit dem Ärmel die beschlagene Scheibe ab und hielt plötzlich mitten in der Bewegung inne.
Ein schwacher Lichtschimmer, der durch die maroden Ziegel kurz unter dem Dachfirst drang, erregte seine Aufmerksamkeit. Unmöglich, dass das Licht aus dem Erdgeschoss an dieser Stelle des Daches zu sehen war. Er schaltete die Scheibenwischer an, aber als er wieder nach oben sah, lag das Dach in tiefer Dunkelheit. Die reflektierenden Regentropfen auf der Windschutzscheibe mussten ihm etwas vorgegaukelt haben. Harris wendete und fuhr mit durchdrehenden Reifen davon. Den lauten Aufschrei, der in diesem Moment aus dem Haus ertönte, hörte er nicht mehr.
Starr vor Grauen kniete Alexandra auf dem kalten Küchenboden, Jacks leblosen Körper eng an sich gepresst. Der Glanz war aus seinen Augen gewichen, die Zunge hing aus dem schäumenden Mäulchen, und das Fell war struppig und stumpf. Er war allein gestorben, ohne ihren Beistand, ohne eine streichelnde Hand, die es ihm hätte leichter machen können. Ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen bei diesem Gedanken. Während sie heitere Stunden in der Kneipe verbrachte, hatte er mit dem Tod gerungen! Dieser Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen und machte den ganzen Abend mitsamt ihrem Glücksgefühl über die zunehmend vertrauliche Beziehung zu Harris zunichte. Nichts von diesem Abend würde als Trost für den Verlust von Jack herhalten können, denn auch wenn sie ihn noch nicht allzu lange besessen hatte, so hatte der Welpe doch längst ihr Herz erobert.Die Dunkelheit war inzwischen einer zarten Röte gewichen, die den Garten in ein blasses Licht tauchte. Trotz der frühen Morgenstunde war die Luft schwül und drückend und lastete wie eine schwere Decke über allem. Weit entferntes Grollen kündigte ein neues Gewitter an.
Alexandra stand bis zur Hüfte in einem Erdloch, erschöpft auf den Griff des Spatens gestützt, und atmete schwer. Jack hatte es nicht verdient, einfach nur verscharrt zu werden. Außerdem fürchtete Alexandra, dass, wenn sie die Grube nicht
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