Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Wir suchen also nicht nach einem Rechtshänder, der uns verarschen will und falsche Spuren legt, sondern nach einem echten Linkshänder.«
Zur Veranschaulichung nahm Schneider einen Stift vom Schreibtisch, hielt ihn wie ein Messer in der rechten Hand und stellte sich vor die Pinnwand. »Hier! Mit rechts mache ich den Schnitt von links oben nach rechts unten.« Er wechselte zur linken. »Mit links von rechts oben nach links unten. Alles andere ist unorganisch! Und selbst wenn ich mir als Rechtshänder Mühe gebe und den Schnitt mit der linken Hand ausführe, halte ich das Messer nicht so wie ein Linkshänder.« Er warf den Stift auf den Tisch zurück, ärgerte sich, dass er auf der anderen Seite wieder herunterfiel, und ließ sich dann auf der Schreibtischkante nieder. »Na ja, vielleicht platzen Robert Schumanns Alibis doch noch … wenn wir Glück haben.«
Harris wusste, dass Schneider darauf wartete, dass er den Stift vom Boden aufhob, allein schon deshalb ignorierte er dessen Seitenblick und die lauernde Haltung. Es reichte, dass er inzwischen extreme Mühe hatte, Schneiders Gedankengängen, verdächtige Personen betreffend, zu folgen, er würde ganz sicher nicht auch noch den Pagen spielen.
Schneider rümpfte plötzlich die Nase und sah nachdenklich an sich herunter. Dann streifte er die Schuhe von seinen Füßen, lief in Socken um den Schreibtisch herum und zogeine Schublade auf. Nebenbei sah er auf sein klingelndes Handy, verzog kurz den Mund und drückte auf die Ablehnentaste. Harris konnte nicht erkennen, was Schneider hinter dem Schreibtisch tat, erst als dieser wieder nach vorn gelaufen kam, sah er die andersfarbigen Strümpfe.
»Ich möchte Sie etwas fragen, Zimmering. Und ich will, dass Sie sich Zeit lassen mit Ihrer Antwort.« Schneider ließ sich wieder auf der Schreibtischkante nieder und zog seine Schuhe an. »Was wissen Sie über Alexandra Fischer? Wer ist sie, was macht sie, warum ist sie hier?«
Das war es also, weshalb Schneider am Kneipenabend so überstürzt aufgebrochen war. Aufgrund ihrer Rothaarigkeit konnte Alexandra das nächste Opfer sein oder …
»Wie schätzen Sie sie ein? Würde sie als Lockvogel taugen?«, unterbrach Schneider Harris’ Überlegungen.
»Als Lock… Sind Sie wahnsinnig?« Er verlor komplett die Fassung, und es war ihm dabei scheißegal, ob sein Chef vor ihm stand oder sonstwer. »Das lass ich nicht zu, niemals, suchen Sie sich wen auch immer, aber nicht Alexandra Fischer«, sagte er energisch und stand, um wenigstens größenmäßig überlegen zu sein, von seinem Stuhl auf. »Ausgeschlossen.«
Schneider schienen weder die Worte noch Harris’ Körpersprache auch nur im Geringsten zu beeindrucken. »Machen Sie keine persönliche Angelegenheit daraus, sonst sind Sie ganz schnell draußen. Und was den Lockvogel angeht, wollte ich nur Ihre Meinung wissen. Mit Vergnügen frage ich sie selbst.«
Das Klingeln des Telefons unterbrach das ungleiche Machtgeplänkel. Schneider griff hinter sich und hob ab. »Schneider … Der will was? Sein Auto zurück? Dann geben Sie’s ihm, ist eh sauber. Moment, warten Sie! Ist er noch in der Leitung? Ich will ihn sprechen.« Schneider wartete mit zusammengekniffenen Augen. »Hauptkommissar Schneider. Eine Frage, Herr Schumann, ist Ihr Bruder Dirk Linkshänder?«
Harris konnte nicht hören, was Robert sagte, aber Schneiders Mimik verriet, dass es bedeutend sein musste. Ohne einen weiteren Satz legte Schneider auf und lief dann minutenlang um den Schreibtisch herum. Harris, der froh darüber war, dass das Thema »Lockvogel« durch den Anruf unterbrochen worden war, machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen, doch Schneider stoppte ihn. »Wissen Sie, was er sagt?«
»Nein«, hätte Harris gern geantwortet und zynisch hinzugefügt, dass er noch keine Gedanken lesen könne, aber gerade dabei sei, es zu lernen.
»Er sagte, dass Dirk eigentlich Rechtshänder sei, aber ihm als Kind schon alles nachgemacht habe und sich sozusagen selbst umtrainierte. Er soll so lange geübt haben, bis er alles auch mit links machen konnte. Er wäre absolut perfekt darin.«
Selbst Harris musste zugeben, dass diese Aussage entscheidend oder gar bahnbrechend sein könnte, was den weiteren Verlauf der Ermittlungen anging. Sei es, dass er Robert tatsächlich unterschätzt hatte und er wirklich der Gesuchte war, der den Verdacht nun gezielt auf seinen Bruder lenkte, oder aber dass Dirk als Links- und Rechtshänder aus unerfindlichen Gründen die Geliebten von
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