Nachts unter der steinernen Bruecke
und das seinen künstlerischen Maßstäben nicht entspricht; Meisl ist dankbar für ein lebensähnliches Bild seiner verstorbenen Frau, das nicht der Maler, sondern der Kaiser, der Traumgeliebte Esthers, gezeichnet hat; während der Künstler und der Jude so etwas erhalten, das sie nicht erwarten konnten, geht der Kaiser leer aus, denn er hat kein Geld in der Tasche, um ein Bild Brabanzios kaufen zu können, und das Bild Esthers, das er selbst gezeichnet hat, läßt er »achtlos« fallen.
Die dritte, freilich recht unwirkliche Verbindung zwischen Burg und Judenstadt stellt die Traumliebe Rudolfs zu Esther dar. Das ist keine »glückliche Liebe«, denn sie besitzt keine Zeit, keinen Ort, ihre Wirklichkeit bleibt die des Traums, und eingebettet ist diese Traumliebe in eine Handlungssequenz voller Brutalität und Haß. Der Ursprung dieser Scheinidylle ist eine Erpressung: »Wenn ich bei dir keinen Gehorsam finde und keine Liebe bei der, an die ich immer denke, dann will ich die Juden allesamt als ein ungetreues Volk aus meinen Königreichen und Ländern vertreiben, das ist mein Wille und mein Beschluß, und das werde ich tun, so wahr mir Gott helfe!« Unter dieser blasphemischen Drohung Rudolfs II. hat der hohe Rabbi Loew, dessen Leben dem Erkennen und der Weisheit gewidmet ist, die Traumliebe zwischen Rudolf und Esther auf mystische Weise gestiftet. Dieser Traum verwirklicht aber nicht nur deren Liebe, sondern auch die »Sünde Moabs«, und als deren Sühne kommt »der Zorn Gottes über die unschuldigen Kinder«, die Pest über die Judenstadt, und um sie zu beenden, löscht Rabbi Loew das Leben Esthers aus. Wie erfüllt die Liebe zwischen Rudolf und Esther im Traum sein mag, es ist keine idyllische, sondern eine erpresste Liebe, für deren Verwirklichung die Vertreibung der Juden von Rudolf bewußt einkalkuliert war und deren Konsequenz die Pest und der Tod Esthers sind. Welch eine wahre Idylle ist dagegen die Rettung der Juden durch die Esther der biblischen Erzählung!
Zerstörerisch sind die Folgen seiner Liebe aber letztlich auch für den Kaiser. Mordechai Meisl nämlich, der spät erst Zusammenhänge zu erkennen glaubt, entwickelt das Rachebedürfnis eines Shylock: »In seinem Herzen war Trauer, aber größer noch als die Trauer waren sein Haß und das brennende Verlangen, sich an dem Mann zu rächen, der ihm sein Weib genommen hatte.« Um sein Geld nach seinem Tode nicht dem Kaiser in die Hände fallen zu lassen, beschließt Meisl, es zu Lebzeiten für nützliche Bauwerke und wohltätige Zwecke in der Judenstadt restlos auszugeben: welch ein — übrigens nicht historisches — Motiv für Wohltätigkeit! Dem Kaiser fehlen nach dem Tod Meisls die Mittel, um ein Heer gegen die protestantischen Stände aufzustellen — sein Untergang ist besiegelt.
Eine auf wechselseitigem Vertrauen, Verständnis und Respekt beruhende lebensfähige Verbindung zwischen der Judenstadt und der Prager Burg gibt es in Perutz' PragRoman, der um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert spielt, nicht — in einer Zeit, die in der jüdischen Geschichtsschreibung als »das goldene Zeitalter des Prager Judentums« (Leopold Zunz) bezeichnet worden ist.
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Wenngleich der Roman Nachts unter der steinernen Brücke erst aus der Verknüpfung der Novellen hervorgeht, so kann doch jede dieser Novellen als ein selbständiges Kunstwerk für sich bestehen. Novellen wie die »Sarabande« oder »Das Gespräch der Hunde« machen besonders deutlich, daß sie sich keinesfalls auf den Beitrag reduzieren lassen, den sie zur Romanhandlung leisten. Ferner entsteht durch Motiventsprechungen, Verweise, Vorausdeutungen und Prophezeiungen zwischen den Novellen eine enge Verbindung, die mit der für die Romanhandlung notwendigen Verknüpfung nicht identisch ist. So sind, um nur ein Beispiel zu nennen, der hohe Rabbi Loew, der Astronom Kepler und der Alchimist van Delle sehr individuell gestaltete Figuren, die in gänzlich verschiedenen Handlungssträngen auftreten, zugleich aber sind sie als Repräsentanten des Strebens nach Erkenntnis identifizierbar, obgleich sie dieses Ziel auf sehr verschiedenen Wegen zu erreichen suchen.
Das für die literarische Gattung der Novelle charakteristische Motiv des Erkennens und Nicht-Erkennens spielt in einer Vielzahl der Novellen eine Rolle. So macht Wallenstein etwa dadurch sein Glück, daß er seine Nachbarin Lucrezia von Landeck trotz allerlei Täuschungsmanöver und trotz ihrer Maskierung erkennt. Welche Hellsichtigkeit
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