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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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frei und begann an dem dunkelvioletten Samt ihres Kleides zu nesteln. »Für eine Nacht, mein Herr Hauptmann, merkt Euch das wohl! Denn ich will frei sein und mit mir tun können, was mir beliebt. Aber diese eine Nacht wird Euch für hundert gut sein.«
»Wenn es Euch also«, sagte, ohne große Enttäuschung zu zeigen, der junge Waldstein, »gefallen hat, mich für diese Nacht zu Eurem Liebsten zu erwählen, warum wollt Ihr mir Euer Gesicht nicht zeigen, daß ich es in die Hände nehmen und liebkosen kann.«
»Weil ich«, gab die Dame, noch immer an ihrem Kleide nestelnd, zur Antwort, »mehr, als Ihr denkt, auf meinen Ruf bedacht bin und den Männern nicht traue. Sie rühmen sich allzu gerne ihrer Liebsten, können nicht schweigen.«
»Vielleicht ist es eben das, wodurch ich mich von den anderen unterscheide. Ich kann schweigen«, beteuerte der Waldstein.
»Vielleicht«, gab die Dame zu. »Aber auch die Männer, die zu schweigen verstehen, begehen oft die erstaunlichsten Fehler, so daß die ganze Welt ihr Geheimnis errät. Nein, Liebster! Du kannst in dieser Nacht alles von mir erlangen. Aber die Maske bleibt.«
Sie warf den Kopf zurück, ließ die Arme sinken und der dunkelviolette Samt glitt an ihr zu Boden.
    Wie sie nun nach genossenen Freuden Seite an Seite in zarter Umschlingung lagen, kam eine Lust, zu plaudern, die Dame an, sie konnte jetzt nicht stille sein, sie begann von allem, was ihr durch den Kopf ging, zu sprechen.
    »Ich bin recht munter«, sagte sie. »Aber du, Liebster, solltest schlafen, denn morgen, wenn die Sonne aufgeht, mußt du schon drei Meilen weit weg von hier sein, kommst heim, da wird alles sein, wie es war, wirst an mich nicht denken. Man sagt von dir, man hat mir erzählt, daß du Tag und Nacht über deinen Büchern sitzest; ist es die Heilige Schrift, in der du so fleißig liest?«
    »Nein«, erklärte ihr der Waldstein, »es sind lateinische und griechische Autoren, die über die Kriegswissenschaft geschrieben haben.«
    »Dann bist du ja ein wahrer Schrein der Gelehrsamkeit«, meinte die Dame halb spöttisch, halb bewundernd. »Ich kann auch Latein. Willst du hören, wie ich Latein kann? Hodie heute, morgen — cras, aliquid schwimmt im Butterfaß. Ja, Liebster, hodie bist du bei mir und morgen, cras, o wehe, da bist du fort, ja, leider, es geht nicht alles so, wie man es möchte, und was das aliquid ist, das im Butterfaß schwimmt, das hab' ich auch gewußt, aber ich hab' es vergessen, kannst du's mir nicht sagen, da du doch so gelehrt bist?«
    »Laß mich dein Gesicht sehen, so will ich's dir sagen«, schlug ihr der Waldstein vor.
Sie schüttelte den Kopf, ließ sich küssen und küßte wieder, und ihre Gedanken nahmen eine andere Richtung.
»Sag mir, Liebster, da du doch so gelehrt bist, — warum fallen die Frauen so gerne und so oft in Sünde? Wenn du's nicht weißt, wenn's nicht in deinen Büchern steht, so will ich dir's sagen. Ich sündige, weil ich drei gewichtige Gründe dafür habe: Zum ersten, weil es vor der Welt verborgen bleibt, es mengt sich keiner in meine Sachen. Zum zweiten, weil Gott barmherzig ist, er läßt den Sündern Zeit, zu bereuen und sich zu bekehren, das hat mir mein Kaplan gesagt. Und zum dritten, weil es die anderen Frauen auch tun, aber das weißt du ja besser als ich, oder weißt du es nicht?«
Von einem Kirchturm her kamen Glockenschläge, der Waldstein zählte sie, es waren zwölf. Und wie der letzte Glockenschlag verhallt war, da war aus der Ferne ein leises Kläffen und Winseln zu vernehmen, zuerst achtete der Waldstein nicht darauf, es war so leise, er hörte es kaum, doch nun kam ein Ziegengemecker dazu und dann -, war es denn möglich? Klang das nicht wie der jammervolle Hahnenschrei des Jeremias? Es konnte kein Zweifel sein. Das war der Jeremias, der die Sünden der Welt beklagte.
Einen Augenblick lang war der Waldstein ganz verwirrt und wie vor den Kopf geschlagen, und dann begriff er. Er wußte nun, wo er sich befand und wer an seiner Seite lag.
»Zwölf Uhr«, stellte indessen die Dame fest. »Liebster, du sollst schlafen. Du mußt früh fort, hast eine lange Fahrt vor dir.«
Sie ließ ihn aber nicht schlafen, sondern plauderte weiter:
»Sechs Meilen. Fünf Meilen, — da denkst du noch an mich. Vier Meilen, — da hast du mich vergessen. Drei Meilen, — da wirst du ungeduldig. — Kutscher, fahr zu! Und der Kutscher knallt mit der Peitsche, die Gänse stieben aus dem Weg und strecken die Hälse und schreien dir nach, zwei Meilen, eine

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