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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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gemeint war, nämlich das »Ja« und das »Aber«.
»Schert Euch fort!« fuhr der Brouza ihn empört an. »Ich habe keine Gemeinschaft mit Euch. Gesellt Euch zu Euresgleichen und mich laßt zufrieden!«
»Na, na, Brouza, werd nicht gleich zornig!« suchte ihn der Barbier zu beschwichtigen. »Du wirst dir heute abend meine Gesellschaft schon gefallen lassen müssen. Bist du nicht auch hergekommen, um den alten Cervenka wiederzusehen?«
»Ich? Den Cervenka? Welchen Cervenka?« fragte der Brouza.
»Unseren Cervenka«, gab ihm der Barbier Bescheid. »Hat er dir nicht auch Nachricht geschickt, daß er heute abend im >Silbernen Hechten« anzutreffen sei? Er hat sich, scheint es, ein wenig verspätet. Aber nein, da ist er ja.«
Zwei Männer waren in die Schankstube getreten, und der Brouza erkannte sie, obgleich es neun Jahre her war, daß er sie zum letztenmal gesehen hatte. Der eine von den beiden, der etwas gebückt an einem Krückstock gehende alte Herr, dem das schüttere weiße Haar in die Stirne fiel, war der Cervenka, des verstorbenen Kaisers zweiter Kammerdiener. Und der andere, der etwas schäbig gekleidete mit der Hakennase, war der Kasparek, der Jahre hindurch des Kaisers Lautenspieler gewesen war. Der Brouza stand auf, um sie zu begrüßen. Zuvor aber suchte er sich seiner Kanne Bier zu versichern.
»Denkt also scharf nach!« sagte er, bevor er ihn verließ, zu dem Sattlermeister Votruba. »Zwei stehen beieinander, sind einander aber spinnefeind. Wer sind die beiden?«
»Bei meiner Seele, ich kenne sie nicht«, versicherte ihm der Vortruba, der nicht mehr an das Rätselraten dachte. »Hier, im >Silbernen Hechten« habe ich sie noch nie gesehen. Aber fragt doch den Wirt, der scheint sie zu kennen, er tanzt mit hundert Kratzfüßen um sie herum.«
    »Da bin ich also«, sagte der alte Cervenka, während er die Suppe auslöffelte, die der Wirt vor ihn hingestellt hatte. »Und es war gar nicht leicht für mich, hierher zu kommen. Meine Tochter, die, bei der ich lebe, und ihr Mann, der Franta, die wollten mich nicht fortlassen, die hatten es sich in den Kopf gesetzt, es könnt' mir etwas zustoßen auf dieser Reise. — >Bleib', wo du bist, Alter!« sagten sie. >In der Welt herumzufahren, das ist nichts mehr für dich. Denk nicht immer an die Vergangenheit, was gewesen ist, ist gewesen. Denk lieber daran, daß wir dich bei der Gartenarbeit brauchen. Heut hast du die Raupen von den Kohlköpfen zu lesen, willst du dich vielleicht davon drücken?« — Aber ich ließ sie reden, und die Raupen ließ ich gute Tage haben, und da bin ich nun. Freilich, ich hätte diese ganze beschwerliche Reise von Beneschau nach Prag vergeblich unternommen, wenn mir nicht Seine Excellenz, der Graf Nostiz, dem ich mein Anliegen submissest vortrug, ein Plätzchen ganz oben auf der Tribüne eingeräumt hätte, — in Erinnerung an die Zeiten, da wir oben auf der Burg täglich aneinander vorbeipassierten, ich mit meinem >Küß die Hände Euer Gnaden«, und er mit einer Frage nach Seiner Majestät Gelauntsein und Befinden oder auch nur mit einem >Guten Morgen, Cervenka«, wenn er es eilig hatte, — um es also kurz zu machen: Den Platz oben auf der Tribüne hatte ich, und so habe ich also wirklich mit diesen meinen Augen den Kopf des Doktor Jessenius in des Henkers Händen gesehen, wie es mir mein allergnädigster Herr, der Kaiser, in seinen letzten Stunden vorausgesagt hat.«
    Und er wandte sich an den Wirt, der neben ihm stand und neugierig zugehört hatte.
»Paß auf: Nach der Suppe einen Olmützer Käse, einen Rettich, eine Brotschnitte und eine halbe Kanne Warmbier.«
»Seine Majestät, der verewigte Herr Kaiser«, begann der Wirt, der, wenn er aufgeregt war, einen kurzen Atem bekam, »hat Euch, wie es die Zigeuner auf den Jahrmärkten tun, wirklich und wahrhaftig«, er holte tief Atem, »aus der Hand die Zukunft vorausgesagt?«
»Eine Brotschnitte, habe ich gesagt, dazu einen Rettich, Käse und eine halbe Kanne Warmbier, das ist alles und jetzt eil dich!« fertigte ihn der Kammerdiener des verstorbenen Kaisers ab.
»Der Herr Cervenka erkennt mich nicht«, sagte der Wirt gekränkt. »Ich bin doch der Wondra.«
»Was für ein Wondra bist du?« fragte der Kammerdiener.
»Der Wondra, der unten in der Küche den Pfeffer stieß«, erklärte ihm der Wirt, »und manchmal ließ man mich auch an den Bratenwender. Ich hab' den Herrn Cervenka«, er holte tief Atem, »oft gesehen, wenn der Herr Cervenka zu uns kam, um zu sehen, ob die Suppe für Seine

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