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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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in die Wirtsstuben.
    Freilich, die Zeiten waren schlecht. Drei Jahre schon währte der Krieg, und an einen baldigen Friedensschluß glaubte niemand. Handel und Wandel stockten, die Märkte blieben unbeschickt, die Teuerung nahm zu, das Geld verlor seinen Wert. Man konnte für zwei Gulden nicht das bekommen, was man zu Kaiser Rudolfs Zeiten mit einem halben Gulden bezahlt hatte. Man fragte sich, wohin das noch führen solle. Doch dem Brouza gelang es jetzt bisweilen leichter als zuvor, sich mit der Erzählung erlebter oder erfundener Geschichten, die Rudolf den Zweiten, seinen Hof und sein Gesinde zum Gegenstand hatten, eine Mahlzeit oder die Butter aufs Brot zu verdienen. Denn die Prager Bürger ließen sich gerne von den vergangenen Zeiten berichten, da die gegenwärtigen so betrüblich, so düster und so beängstigend waren.
    In der Schankstube des »Silbernen Hechten« wurde, als der Brouza eintrat, von nichts anderem als von den Hinrichtungen, die an diesem Morgen vollzogen worden waren, gesprochen. Der Gerichtsdiener Johann Kokrda, der die Nacht hindurch auf dem Altstädter Ring ausgeharrt hatte, um sich unter den Zuschauern einen guten Platz zu sichern, hatte seine große Stunde. Ohne sich von Fragen und Zwischenrufen beirren zu lassen, berichtete er der Reihe nach, was er gehört und gesehen hatte. Die ganze Nacht über habe man bei Fackelschein an dem Gerüst gearbeitet, und des Morgens sei es nach all dem Hämmern und Pochen furchterregend dagestanden: vier Ellen hoch, zwanzig Ellen im Geviert, und alles, auch der Richtblock, mit schwarzem Tuch überzogen. Für die Behörden, die Geistlichkeit und den Adel seien Tribünen errichtet worden, das gemeine Volk habe dicht gedrängt den Platz und die umliegenden Gassen gefüllt. Dreihundert Hellebar diere und vierhundert Reiter von des Obristen Waldstein oder Wallenstein Regimentern hätten die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Fliegende Händler hätten den Wartenden, soweit man zu ihnen gelangen konnte, Wurst, Käse, Bier und Schnaps verkauft. Dann seien unter dem Wirbel der Trommeln einer nach dem anderen, ihrer Rangordnung entsprechend, die Verurteilten herbeigeführt worden. Als erster, wie es sich gehörte, der Graf Schlick. Er sei in schwarzen Sammet gekleidet gewesen, habe ein Büchlein in der Hand gehalten und eine gelassene Miene zur Schau getragen. Als sein Kopf fiel, habe eine Frau in der Menge »Du heiliger Märtyrer!« gerufen, bis hinauf zu den Tribünen habe man es gehört, und die Waldsteinschen Reiter hätten versucht, zu ihr zu gelangen, um sie festzunehmen, da seien etliche Leute niedergestürzt und einer sei von Pferdehufen zu Tode getroffen worden, die Frau aber habe sich in Sicherheit gebracht. Als dann die Ruhe wieder hergestellt war, habe der Herr von Budowetz das Schaff Ott bestiegen, von keinem Priester begleitet, denn der Trost und Beistands eines kalvinistischen Priesters sei ihm nicht bewilligt worden und die Begleitung eines katholischen habe er verschmäht. Er habe die Zuschauer auf dem Platz mit Freundlichkeit gegrüßt, zum Abschied mit der Hand gewinkt und dem Henker einiges Geld gereicht. Und die Leute unten hätten ihm zugerufen: »Lebewohl, Wenzel! Laß dir's droben gut gehen auf der ganzen Linie!« Dieses »auf der ganzen Linie« hätte ihm Freude bereitet, meinten die Leute, es sei nämlich eines seiner Lieblingsworte gewesen. »Das Evangelium hochhalten auf der ganzen Linie«, »dem Teufel widerstehen auf der ganzen Linie«, — dergleichen hatte man oft von ihm gehört. Als dritter sei Herr Dionys von Czernin auf Chudenitz an die Reihe gekommen. Während er die Stufen des Gerüstes hinaufstieg, habe sein Bruder Hermann, der unter den adeligen Zuschauern seinen Platz hatte, sich von diesem erhoben und die Tribüne verlassen. Dabei habe er sich geschneuzt oder sich vielleicht die Augen gewischt, — er, der Kokrda, habe das von seinem Platze aus nicht mit Sicherheit unterscheiden können.
    Auf all dies hörte der Brouza nicht, es war ihm nicht wichtig. Ihm ging es um eine Mahlzeit. Prüfend zog er den Geruch der Speisen durch die Nase. Sein Blick fiel auf eine Schüssel mit Blutwurst, Kraut und Knödeln, die einem der Gäste soeben aufgetischt worden war. Von dem Duft dieses Gerichtes angezogen, trat er an den Tisch und erkannte hinter der Schüssel seinen Freund und Wirtshauskumpan, den Sattlermeister Votruba.
    »Da seid ihr ja. Laßt es Euch nur schmecken«, begrüßte er ihn mit der Herablassung, die er als ehemaliger

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