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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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durchgesehen und seinen Schreibern etliche Briefe diktiert. Er hatte des Kaisers Hofkammerrat, den edelgeborenen Herrn Jan Slovsky von Slovic, empfangen, der ihn bat, ihm für die Rückzahlung eines Darlehens von achthundert Goldgulden in Geduld noch einige Zeit zu lassen. Er hatte die Berichte seiner Agenten, die aus Mailand, aus Augsburg, aus Marseille und aus Nischni Nowgorod gekommen waren, angehört und sich dann früher als sonst in seine Wohnstube zurückgezogen.
    Dorthin brachte ihm der Mendel nach der Abendsuppe einen Aufguß von Eibisch, Schlüsselblumen und Leinsamen. Denn das Brustübel, an dem der Mordechai Meisl seit Jahren litt, hatte nach einem betrügerischen Stillstand zu einem neuen Angriff ausgeholt, das Fieber und der stechende Husten kamen in immer kürzeren Intervallen über ihn, und manchmal wurde der Hustenanfall so heftig, daß es ihm finster vor den Augen wurde.
    Indes er Schluck für Schluck den heißen Kräuteraufguß trank, versuchte er, da er nicht untätig bleiben konnte, in dem Buche des Don Isak Abarbanel zu lesen, das »Die Blicke Gottes« genannt ist. Doch es wollte ihm nicht gelingen, die Gedanken dieses hochberühmten Mannes zu erfassen, der Sinn der Worte erschloß sich ihm nicht, und so legte er, ermüdet und enttäuscht, das Buch aus der Hand und gab sich den Gedanken hin, die in den Stunden der Einsamkeit über ihn kamen und immer die gleichen waren:
    Wenn Gott mir einen Sohn geschenkt hätte! Einen Sohn zu haben, den man auf der Welt zurückläßt! Ich hätte ihn in der Weisheit und in der Lehre auferziehen lassen, wie ein aufgebrochener Granatapfel wäre er gewesen, voll Wissen. Ihm hätte es keine Mühe gemacht, in dem Buche des Abarbanel zu lesen, ein Deuter dunkler Worte wäre er geworden, der Hauch seines Atems wäre Weisheit und Erkenntnis gewesen. Gott hat es nicht gewollt. Kinderlos gehe ich dahin, Fremden hinterlasse ich mein Gut. Ist mein Unglück im Plan der göttlichen Weisheit notwendig gewesen, um eines anderen Mannes Glück zu begründen? Wer weiß es? Wer kann es sagen? Der Meerestiefe gleich ist Gottes Recht.
    Er stand auf. Seine Gedanken gingen ihren alten Weg, von seinem ungeborenen Sohn glitten sie zu seiner Frau, die schon so lange gestorben war. Aus einem Schrein, der an der Wand stand, holte er ein aus Rosenholz geschnitztes Kästchen hervor, darin lag aufbewahrt, was ihr in ihrem Leben lieb gewesen war. Es war nicht viel. Kleine Dinge, geringe Dinge. Bunte Vogelfedern, ein verblaßtes Seidenband, eine Spielkarte, die ihr einmal in die Hände gekommen war, verwelkte Rosenblätter, die, wenn man sie berührte, in Staub zerfielen, ein silbernes Messerchen, das war zerbrochen, ein Stein, der geädert und wie eines Menschen Hand geformt war, eine Bemsteinkugel, eine Glaskugel und etwas, was dereinst der bunte Flügel eines Schmetterlings gewesen war. All dies betrachtete der Mordechai Meisl nachdenklich, er hatte das Kästchen seit Jahren nicht in den Händen gehabt. Er seufzte und verschloß es und stellte es in den Schrein zurück. Was es enthielt, erschien ihm so unverständlich, so rätselhaft, so schwer zu deuten, wie es die dunkeln und geheimnisschweren Worte in dem Buche des Don Isak Abarbanel waren.
    Er hat es so beschlossen und so mußte es geschehen, sagte er zu sich. Er hat sie in das ewige Glück genommen. Und ich .. . Der Gedanken und Wünsche sind viele in den Herzen der Menschen, doch nur der Ratschluß Gottes besteht. Wir saßen, und es war wie alle Tage, ich sprach den Segen über das Brot und sie wartete mir beim Essen auf, und dann — nachts .. . Wen rief sie in ihrer Todesnot, daß er ihr helfen sollt'? Eines fremden Mannes, eines Christen Name. Sie hat den Römischen Kaiser einmal, ein einziges Mal gesehen, damals, als er durch die Altstadt in das Judenquartier ritt, und die Ältesten und die Räte erwarteten ihn, die Trompeter bliesen und der hohe Rabbi hielt die Thora in den Händen. - Ihre Stimme, dieser Schrei in der Todesnot: Rudolfe, hilf! War er es, den sie so rief? War es ein anderer, von dem ich nichts weiß? Weh' mir, ich werde es nie erfahren.
    Der Husten kam über ihn und er preßte sein Tüchlein an den Mund. Der Türe öffnete sich und der Mendel steckte besorgt den Kopf in die Stube. Der Mordechai Meisl gab ihm ein Zeichen, es sei nichts und er bedürfe seiner nicht.
    Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Mit dem Römischen Kaiser war er nun in seinen commerciis heimlich verbunden. Seine Geschäfte waren auch des

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