Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
Vom Netzwerk:
Kaisers Geschäfte. Des Kaisers Hofkammerrat, der heute bei ihm vorgesprochen hatte, ahnte nicht, daß er seinem Kaiser Monat um Monat Zinsen zahlte. Und wie keinen anderen Juden je zuvor hatte ihn, den Mordechai Meisl, der Kaiser mit Rechten, Vorrechten, Freiheiten und Dignitäten begnadet. »Wir, Rudolf der Andere, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser und König von Böhmen, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, haben beschlossen, unseren getreuen Juden, den Mordechäus Meisl.,.«, so begannen die Schutz- und Privilegienbriefe. Kein Gericht durfte seine Person oder sein Gut antasten, keine Gerichtsperson hatte Zutritt in sein Haus, solange er lebte. Lief eine Anklage gegen ihn, so mußte sie vor den Kaiser gebracht werden. Die Silberausfuhr aus dem Königreich war ihm übertragen. Er allein war befugt, Personen des Herren- und Ritterstandes, wie auch den Klöstern, Stiften und Abteien gegen einen Schuldschein Geld zu leihen. Im ganzen Römischen Reich durfte er sich frei bewegen und Handel treiben, und wie ein großer Herr oder Prälat war er auf seinen Reisen vom Kutscher- und Pferdezoll befreit. Und der Philipp Lang hatte mehr als einmal angedeutet, der Kaiser trage sich mit dem Gedanken, seinen getreuen Juden, den Mordechai Meisl, in den böhmischen Ritterstand zu erheben.
    Er wiederum hatte dem Philipp Lang, dem vertrauten Boten des Kaisers, alle Vierteljahr Rechnung über das Eingenommene und Verausgabte abgelegt und ihm pünktlich auf den Tag des Kaisers Anteil am Gewinn überreicht. Starb er, dann fiel die Hälfte von allem, was er an Geld und Gut hinterließ, dem Kaiser zu. — Wartete der Kaiser auf seinen Tod? Wollte er lieber die Hauptsumme erlangen als alle Vierteljahre den Gewinn? »Eine Handvoll, das macht den Löwen nicht satt«, hatte der Philipp Lang bisweilen, wenn er das Geld nahm, mit einem Achselzucken gesagt. Eine Handvoll! Vier versiegelte Beutel mit Gold lagen auf dem Tisch und dazu drei Anweisungen auf zusammen vierzigtausend Reichstaler, zwei von ihnen auf der Frankfurter Messe zahlbar und die dritte auf der Leipziger Neujahrsmesse, die auch die »kalte Messe« genannt wurde. Denn ein Vierteljahr war um, und in dieser Nacht kam der Philipp Lang, um die Abrechnung zu erhalten und des Kaisers Geld in Empfang zu nehmen.
    Gold zu gewinnen, ging es dem Meisl durch den Sinn, das war für andere eine große und oft vergebliche Müh und Plage, viele setzten ihr Leben darein und verloren es. Ihm war es immer nur ein Spiel gewesen. Sein Leben lang war das Gold hinter ihm hergelaufen, hatte ihn umbuhlt und umworben, war, wenn er es von sich stieß, wiedergekommen. Manchmal wurde er seines Glückes müde, ja, zuweilen wurde das Gold ein Gegenstand der Furcht für ihn. Es bedrängte ihn, es wollte sein eigen werden und keinem anderen dienen, und wenn es sein eigen geworden war, dann blieb es nicht in den Kästen und Truhen, dann lief es als sein Knecht für ihn durch die Welt. Ja, das Gold liebte ihn, ihm hatte es sich unterworfen. Aber was würde es beginnen, was bewirken, wenn er es fessellos, nicht mehr von seiner Hand gebändigt, in der Welt zurückließ?
    Ein kurzer, aber über alle Maßen heftiger Hustenanfall kam über ihn und schüttelte ihn, daß er meinte, vergehen zu müssen, und als er vorüber war, da hatte sich das Tüchlein in seiner Hand rot gefärbt. Und wie er die Flecken Blutes sah, kam ein Verwundern über ihn, daß er noch lebte. Es schien ihm, als wäre er schon lange an das Ende seines Daseins gelangt, aber das Sterben war ihm verwehrt. Der hohe Rabbi Loew, die Leuchte der Verbannung, das Kleinod Israels, er, der Einzige seiner Zeit, war eines Nachts in seiner Kammer gesessen und hatte in den heiligen Büchern gelesen, in denen die Geheimnisse Gottes aufgezeichnet sind. Da war das Wachsstümpfchen, das seine Kammer erhellte, zu Ende gebrannt, sein Licht knisterte und flackerte und war im Erlöschen, und es gab kein anderes Wachslicht in des hohen Rabbis Haus. So sprach der hohe Rabbi sein Zauberwort über das verzehrte Lichtlein, er beschwor es bei den zehn Namen, daß es nicht erlöschen sollte, und es gehorchte. Ruhig und still brannte das Stümpfchen weiter und gab sein Licht die ganze Nacht hindurch, daß der hohe Rabbi in die Geheimnisse Gottes eindringen konnte, und erst als es heller Tag geworden war, erlosch es und verging in nichts. — War er, der Mordechai Meisl, nicht auch solch ein verzehrtes Lichtlein, das lange schon erloschen sein sollt' und dennoch

Weitere Kostenlose Bücher