Nachts unter der steinernen Bruecke
weiterbrannte? Warum läßt Gott mich nicht erlöschen? Warum lebe ich? fragte er sich, während er noch immer auf das von seinem Blut benetzte Tüchlein in seiner Hand blickte. Wozu bedarf Gott meiner noch in dieser Welt?
Es klopfte. Der Mordechai Meisl verbarg das Tüchlein. Der Mendel ließ den Philipp Lang in die Stube treten, und der Mordechai Meisl ging seinem Gast, wie es die Sitte vorschrieb, bis zwei Schritte vor die Türe entgegen, um ihn zu bewillkommenen.
Der Philipp Lang war ein großer, hagerer Mann, er überragte den Mordechai Meisl, wie er vor ihm stand, um eines Hauptes Länge. Sein Haar und Bart waren leicht ergraut. Er trug sich auf spanische Art, und über seiner Brust hing an einer goldenen Kette das Bildnis der Madonna von Loreto.
Wie er eintrat, streifte sein Blick die vier versiegelten Beutel und die Geldanweisungen, die auf dem Tisch lagen, und er erwog, wie schon so oft an diesem Tag, welche Summe nötig sein würde, um den Kaiser für diesmal zufriedenzustellen. Das griechische Marmorbildwerk, das der Kaiser von einem Antiquar in Rom gekauft hatte, war angekommen und mußte bezahlt werden. Es gab noch andere Schulden, die waren weniger drückend. Doch der Kaiser gedachte auch noch das Dürerbildnis zu kaufen, die »Anbetung der Könige« aus der Allerheiligenkirche in Wittenberg, die ihm der Magistrat dieser Stadt angeboten hatte.
Seine Worte verrieten nicht, welche Gedanken ihn beschäftigten. Er sagte zum Meisl:
»Ich hoff', ich komme nicht zur Unzeit. Draußen stürmt's, es wird gleich Regen geben. Und wie steht es um meines werten Freundes Befinden?«
Er hatte die Hand des Mordechai Meisl ergriffen und hielt sie so, daß er den Pulsschlag fühlen und prüfen konnte. — Er fühlt sich gar nicht wohl, stellte er fest. Der Puls ist sehr behende. Es ist sicherlich Fieber da.
Wenn der Mordechai Meisl nach seinem Befinden gefragt wurde, gab er immer die gleiche Antwort, die nichts besagte. Wie es in Wahrheit um ihn stand, verriet er keinem.
»Es ist gut, ich danke Euch, es ist recht gut«, sagte er. »Was von meiner Krankheit heute noch übrig ist, wird morgen verschwunden sein.«
Und er löste seine Hand aus der des kaiserlichen Kammerdieners.
Der Philipp Lang sah ihn an und machte im Stillen seine Prognosis. Da war kein Zweifel: In diesem abgezehrten Körper war nicht mehr die Kraft, wider die zehrende Krankheit und die drohende Auflösung zu kämpfen. Morgen konnte er seinem Herrn vermelden, daß er nicht lange mehr, nicht länger als zwei Wochen oder drei, auf den geheimen Schatz zu warten haben werde, auf die Dukaten und die Doppeldukaten, die Rosenobles und die Dublonen. Und nicht die Hälfte, nein, das Ganze, alles, was der Meisl-Jude an Geld und Gut hinterließ, mußte nach dem Plan und Willen des Philipp Lang dem Kaiser gehören. Denn ein Löwe und der Kaiser, die teilen mit keinem.
Zum Meisl sagte er:
»Ja, wir müssen dessen froh sein, daß wir just in diesen Zeiten leben, in denen die Arzte so viele und herrliche Erfindungen gemacht haben, deren sie sich zu unserem Wohle zu bedienen wissen.«
»Ja, das ist gut«, meinte der Meisl. »Doch ich bedarf der Hilfe der Ärzte nicht. Es geht mir alle Tage besser und besser.«
»Das sind gute Nachrichten und ich werde sie mit Freuden meinem allergnädigsten Herrn vermelden«, erklärte der Philipp Lang. »Mein allergnädigster Herr hat mir strengstens aufgetragen, Euch treulich zu ermahnen, daß Ihr gute Achtung auf Eure Gesundheit haben und Euch wohl pflegen sollt.«
»Das werd' ich tun in schuldiger Observanz der allerhöchsten Befehle«, sagte der Mordechai Meisl. »Mögen Seiner Majestät Leben, Ruhm und Friede gemehrt werden vom Herrn der Welt.«
Und nun, da von beiden Seiten der Höflichkeit und dem Brauch genüge getan war, begannen sie, von den Geschäften zu sprechen.
Gegen Mitternacht, als sie nach langem Unterhandeln einig geworden waren, trug der Mendel Wein und kalte Küche auf und heiße, in Öl gebackene Mandelkuchen, die er des Nachts aus dem Backhaus geholt hatte. Und der Philipp Lang erzählte, während er mit Behagen aß und trank, von der kaiserlichen Hofhaltung, wie es da oftmals sonderbar zugehe. Daß des Kaisers Kammerherr, ein Baron Palffy, sich einen Diener hielt, der an seiner Stelle, sooft es Arger gab, auf die abscheulichste Art fluchen mußte, denn der Baron selbst sei dazu zu gottesfürchtig. Von dem spanischen Gesandten am kaiserlichen Hof, dem Don Balthasar de Zuniga, wisse jedermann, daß er seine
Weitere Kostenlose Bücher