Nachts, wenn der Feuerteufel kommt
beunruhigen wollte. Mütter sehen es nun mal nicht
gern, wenn Sohnemann oder gar Töchterchen sich in gefährliche Abenteuer
verstrickten.
Nachdem er den Brief frankiert
und in den einzigen Briefkasten der Schule geworfen hatte, fand er sogar noch
Zeit, die Nase in ein kluges Buch zu stecken. Es behandelte die Kreuzzüge des
Mittelalters, vermittelte viel Wissenswertes und war auch noch spannend
geschrieben.
Beim Abendessen im großen
Speisesaal waren die jüngeren Schüler unter sich. Die der Oberstufe hatten
verlängerten Ausgang, blieben natürlich in der Stadt, besuchten Kino-Vorstellungen
oder handelten sich in den Diskotheken infolge überlauter Musik Gehörschäden
ein.
Die Mahlzeit bestand aus
Käsebroten, Obst und Kakao.
Klößchen versuchte, einen
Mengen-Rekord aufzustellen, hatte aber zuviel Schokolade gefuttert, so daß er
das selbstgesteckte Ziel, Gott sei Dank!, nicht erreichte.
„Eines Tages“, sagte Tarzan,
„hält dich nicht mal mehr die Strickleiter aus.“
„Die trägt fünf Zentner.“
Klößchen mümmelte mit vollen Backen.
„Eben.“
„Was du immer hast! Ich bin
kein Gramm zu schwer, nur zehn Zentimeter zu kurz. Aber ich wachse ja noch.“
„Leider auch in die Breite.“
Nach dem Essen verließen sie
das Schulgebäude, schlichen draußen an der Mauer entlang und gaben acht, daß
sie nicht beobachtet wurden.
In einem Gebüsch hatten sie ihre
Räder versteckt, denn der Fahrradkeller wurde abends von Hausmeister Mandl
abgeschlossen. Aber gerade heute nacht konnten sie auf ihre Drahtesel nicht
verzichten. Für einen Dauerlauf zum Oberrieder See hätte Klößchen sich bedankt.
Sein Rad war getrocknet, aber
die mißhandelte Speiche noch nicht ganz wiederhergerichtet. Im letzten
Tageslicht reparierten die beiden.
Als sie fertig waren, sagte
Klößchen: „Jetzt ist es besser als vorher.“
Sie liefen ins ADLERNEST
zurück, verbrachten lesend die restliche Zeit und lagen dann pünktlich im Bett.
Studien-Assessor Guntram, der
übers Wochenende als EvD — Erzieher vom Dienst — eingeteilt war, machte seine
Runde, sah herein, fragte, ob alles gesund sei und wünschte Gute Nacht.
Während dann beide voller
Spannung in der Dunkelheit abwarteten, verklangen allmählich die Geräusche im
Haus. In den Buden freilich wurde noch gewispert und geflüstert. Manch einer
las — mit der Taschenlampe unter der Bettdecke. Und sogar Kopfhörer,
angeschlossen an Kofferradios, waren in Betrieb.
„Eine Mondnacht“, sagte Tarzan.
„Aber leider auch mit Wolken.“
„Bestimmt geht’s wieder über
Stock und Stein, und ich fliege dauernd auf die Nase.“
„Du kennst den Weg so gut wie
ich.“
„Aber du ahnst Hindernisse. Du
hast den sechsten Sinn. Ich habe nur...“
„...einen“, lachte Tarzan. „Den
für Schokolade.“ Er richtete sich auf. „Hörst du! Die Haustür wird
abgeschlossen. Wer jetzt noch raus oder rein will, muß Pauker sein und den
Schlüssel haben.“
Das freilich war für die beiden
kein Hindernis. Eine halbe Stunde später zogen sie sich leise in der Dunkelheit
an. Trotz nächtlicher Schwüle setzte Klößchen seine Sportkappe auf — die mit
dem riesigen Schild. Unter der fühlte er sich sicher, wenn gefährliche
Ereignisse bevorstanden.
Lautlos verließen beide die
Bude. Totenstille war jetzt im Haus. Sie mußten leise auftreten, denn auch das
Knacken der Dielen konnte verräterisch sein.
Während Klößchen im Flur
wartete, schlich Tarzan die Treppe zum Speicher hinauf. Dort, auf einem Balken
in der Ecke, war Klößchens Strickleiter versteckt. Ohne sie wäre nächtliches
Ausbüchsen unmöglich gewesen — für Klößchen jedenfalls. Tarzan hatte früher ein
Nylonseil benutzt — für den gleichen Zweck. Als gewandter Turner war er daran
hinuntergeklettert und später wieder herauf — ein sportlicher Vorgang, den
Klößchen wegen seiner Leibesfülle beim besten Willen nicht schaffte. Deshalb
hatte er, um auch nachts dabei sein zu können, die Strickleiter besorgt.
Leise öffneten sie das
Flurfenster.
Eine Armlänge entfernt sprang
die Mauer vor. Hier begann das Nebenhaus. Wilder Wein rankte sich in dem Winkel
empor, bis zum zweiten Stock. Hausmeister Mandl hatte feste Haken in die Mauer
gehämmert, um ein Holzgitter anzubringen, das die Weinranken stützte. Am
obersten Haken wurde die Strickleiter festgehakt.
Tarzan spähte in den Hof.
Niemand war zu sehen. Leichtfüßig kletterte er hinunter und sprang auf den
Boden. An die Mauer gepreßt, blieb er stehen.
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