Nachts
Bezirk Bramhall, aber durch das ewige Halbdunkel, das drinnen herrschte, wirkte es viel größer. Der Gong schien tatsächlich durch Weiten von Sälen und Fluren zu dringen, und sein Klang zauberte stets eine bestimmte Vorstellung in Pops Verstand: der Leichenwagen, der im Pestjahr durch London fuhr, dessen Fahrer gleichgültig eine Glocke schwang und dabei rief: »Bringt eure Toten raus! Bringt eure Toten raus! Beim heiligen Jesses, bringt eure Toten raus!«
Die Schwester Ekel, die etwa dreißig Sekunden später die Tür aufmachte, sah nicht nur tot, sondern sogar schon einbalsamiert aus; eine Mumie, zwischen deren Lippen jemand als Witz eine glimmende Zigarettenkippe gesteckt hatte.
»Merrill«, sagte die Dame. Ihr Kleid war dunkelblau, das Haar dazu passend getönt. Sie versuchte, so mit ihm zu sprechen wie eine große Dame mit einem Händler, der aus Versehen zur falschen Tür gekommen war, aber Pop sah, sie war auf ihre Weise ebenso aufgeregt wie dieser Hurensohn McCarty es gewesen war; nur waren die Schwestern Ekel in Maine geboren, in Maine aufgewachsen und würden in Maine sterben, während McCarty irgendwo aus dem Mittelwesten stammte, wo Kunst und Gabe der Zurückhaltung offenbar nicht als wichtiger Bestandteil der Kindererziehung angesehen wurden.
Ein Schatten huschte irgendwo am Salonende des Flurs entlang, gerade noch über der knochigen Schulter der Schwester sichtbar, die zur Tür gekommen war. Die andere. Oh, sie waren wahrhaftig gespannt. Pop fragte sich langsam, ob er nicht vielleicht doch zwölf Riesen aus ihnen herauspressen konnte. Möglicherweise vierzehn.
Pop wußte, er konnte sagen: »Habe ich die Ehre, mit Miss Deere oder mit Mrs. Verrill zu sprechen?« und wäre damit vollkommen korrekt und vollkommen höflich gewesen, aber er hatte es schon früher mit diesen beiden exzentrischen alten Schachteln zu tun gehabt und wußte, zwar würde die Schwester Ekel, die die Tür aufgemacht hatte, weder eine Braue hochziehen noch mit einem Nasenflügel beben, sondern ihm einfach sagen, mit wem er sprach, aber dadurch würde er mindestens einen Tausender verlieren. Sie waren sehr stolz auf ihre merkwürdigen Männernamen und betrachteten jemand, der sich bemühte und scheiterte, mit größerem Wohlwollen als einen Feigling, der sich auf die einfache Art durchmogelte.
Daher sprach er ein rasches Dankgebet im Geiste, seine Zunge möge ihn nicht im entscheidenden Augenblick im Stich lassen, gab sein Bestes und stellte hocherfreut fest, daß ihm die Namen so mü
helos über die Lippen flutschten wie die Ware eines Schlangenölverkäufers. »Spreche ich mit Eleusippus oder Meleusippus?« fragte er und brachte mit seinem Gesicht zum Ausdruck, daß er die Namen so beiläufig aussprach wie Joan oder Kate.
»Meleusippus, Mr. Merrill«, sagte sie, und, ah, gut, jetzt war er Mister Merrill, und er war so sicher, daß alles glatt gehen würde, wie man nur sein konnte, und er lag so falsch damit, wie man nur liegen konnte. »Möchten Sie nicht eintreten?«
»Vielen herzlichen Dank«, sagte Pop und betrat die düsteren Tiefen der Villa Deere.
»Meine Güte«, sagte Eleusippus Deere, als sich das Polaroidbild langsam entwickelte.
»Wie grausam er aussieht!« sagte Meleusippus Verrill im Tonfall aufrichtigen Mißfallens und aufrichtiger Angst.
Der Hund wurde echt immer häßlicher, das mußte Pop zugeben, und noch etwas anderes machte ihm Sorgen: Die zeitliche Abfolge der Bilder schien sich zu beschleunigen.
Er hatte die Schwestern Ekel für das Vorführbild auf ihr QueenAnneSofa gesetzt. Die Kamera schoß ihr grellweißes Blitzlicht ab und verwandelte das Zimmer für einen Sekundenbruchteil von dem Fegefeuer zwischen dem Land der Lebenden und dem Reich der Toten, in dem diese zwei alten Relikte irgendwie existierten, in etwas Flaches und Dröges, wie das Polizeifoto eines Museums, in dem ein Verbrechen begangen worden war.
Aber das Foto, das herauskam, zeigte nicht die Schwestern Ekel, die wie zwei identische Buchstützen auf dem Sofa in ihrem Salon saßen. Das Bild zeigte den schwarzen Hund, der den Kopf mittlerweile so weit gedreht hatte, daß er voll in die Kamera sah und damit zu dem Fotografen (wer es auch sein mochte), der den Verstand verloren haben mußte, so ruhig dazustehen und weitere Bilder von dem Hund zu machen. Jetzt hatte der Hund sämtliche Zähne zu einem irren, mörderischen Fauchen entblößt und den Kopf wie ein Raubtier leicht nach links gelegt. Der Kopf, überlegte Pop, würde sich
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