Nachts
von wegen ein Mann kann nicht gegen seine Natur. Das ist dummes Zeug, das weißt du. Es ist auch nicht die Natur eines Mannes, Dreck zu fressen, aber du könntest eine ganze Schüssel verschlingen, wenn jemand dir eine Knarre auf den Kopf richten und befehlen würde, daß du es machen sollst. Du weißt, es ist Zeit höchste Zeit zu tun, was du den Jungen hättest tun lassen sollen. Es ist ja nicht so, daß du große Unkosten gehabt hättest.
Aber darauf erhob ein anderer Teil seines Verstands wütend und mit den Fäusten drohend Einwände: Doch! Ich habe Unkosten gehabt!
Der funge hat eine nagelneue Polaroidkamera zertrümmert! Er weiß es vielleicht nicht, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich hundertneununddreißig Piepen losgeworden bin!
»Scheiße auf Toast!« murmelte er aufgebracht. »Es geht nicht darum! Es geht nicht um das Scheißgeldl«
Nein es ging nicht um das Scheißgeld. Er konnte sich wenigstens eingestehen, daß es nicht um das Geld ging. Er konnte es sich leisten; Pop hätte sich in der Tat eine ganze Menge leisten können, einschließlich einer eigenen Villa im Bezirk Bramhall und obendrein einen brandneuen Mercedes in der Garage. So etwas hätte er sich freilich nie gekauft er drehte seine Pennies um und betrachtete pathologische Knausrigkeit als eine gute alte YankeeTugend , aber das bedeutete nicht, er hätte es nicht haben können, wenn er gewollt hätte.
Es ging nicht ums Geld; es ging um etwas Wichtigeres, als Geld je sein konnte. Es ging darum, nicht abgekocht zu werden. Pop hatte es sich zum Lebensziel gemacht, nicht abgekocht zu werden, und die wenigen Male, wo man ihn doch über den Tisch gezogen hatte, war ihm zumute gewesen wie einem Mann, dem rote Ameisen im Gehirn herumwuselten.
Zum Beispiel die Sache mit dem Grammophon. Als Pop herausfand, daß ein Antiquitätenhändler aus Boston Donahue hatte er geheißen fünfzig Piepen mehr als üblich für ein VictorGraffGrammophon Baujahr 1915 bekommen hatte (das sich obendrein als das weitaus häufigere Modell des Jahres 1919 entpuppt hatte), da hatte Pop deshalb schlaflose Nächte gehabt, manchmal verschiedene Formen von Racheplänen geschmiedet (jeder toller und lä
cherlicher als der vorhergehende), sich manchmal aber auch nur einen Narren geschimpft und sich gesagt, er müsse echt auf dem absteigenden Ast sein, wenn es einem Großstädter wie Donahue gelungen war, Pop Merrill abzukochen. Und manchmal stellte er sich vor, wie der Wichser seinen Pokerkumpels erzählte, wie leicht es gewesen war: »Verdammt, die da oben sind doch bloß ein Haufen Hirnamputierte! Wenn man versuchen würde, einem Dorftrottel wie diesem Merrill aus Castle Rock die Brooklyn Bridge zu verhökern, würde der dumme Arsch glatt fragen: >Wieviel?<« Und dann würden er und seine Spießgesellen auf ihren Stühlen um den Pokertisch zurücklehnen (warum er sie in seinem morbiden Tagtraum immer um so einen Tisch herum sah; wußte Pop nicht zu sagen, aber es war so), Zigarren für einen Dollar rauchen und vor Lachen brüllen wie Trolle.
Die Sache mit der Polaroid brannte wie Säure in ihm, aber er war noch nicht bereit, das Ding abzuschreiben.
Noch nicht ganz.
Du bist verrückt! schrie eine Stimme in ihm. Du bist verrückt, damit weiterzumachen!
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das Handtuch werfe«, murmelte er dieser Stimme und seinem verlassenen düsteren Laden, der wie eine Bombe in einem Koffer leise vor sich hin tickte, verdrossen zu. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich das mache.«
Aber das bedeutete nicht, daß er weitere vergebliche Reisen auf sich nehmen mußte, um das Hurending zu verkaufen, und ganz bestimmt würde er keine Bilder mehr damit machen. Er schätzte, daß noch mindestens drei >sichere< darin sein mußten, möglicherweise sieben, aber er wollte nicht derjenige sein, der es herausfand. Überhaupt nicht.
Trotzdem konnte sich etwas ergeben. Man konnte nie wissen.
Und in diese Schublade eingeschlossen, konnte sie weder ihm noch sonst jemand schaden, oder?
»Nöö«, stimmte Pop sich selbst hastig zu. Er legte die Kamera hinein, schloß die Schublade ab, steckte die Schlüssel ein, ging zur Tür und drehte das Schild GESCHLOSSEN mit dem Gebaren eines Mannes auf OFFEN, der ein quälendes Problem endlich zu seiner Zufriedenheit gelöst hat.
Kapitel Zehn
Am nächsten Morgen wachte Pop um drei Uhr früh auf, war schweißgebadet und sah ängstlich in die Dunkelheit. Die Uhren hatten gerade einen weiteren erschöpften
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