Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
noch verbissener. Sam konnte von seiner Po sition aus das Plakat sehen; es war mit großen orangefarbenen Krakeln bedeckt, die vage an Worte gemahnten.
    »Bitte?« fragte Sam.
    »Das ist Lukey«, sagte Dave mit gedämpfter Stimme. »Ist heute nicht sein bester Tag, Mr. Peebles.«
    »Hast du meinen Slim Jim, ha st du meinen Slim Jim, hast du meinen verdammten Slim Jim?« sang Lukey, ohne aufzusehen.
    »Äh, tut mir leid « setzte Sam an.
    »Er hat keine Slim Jims!« brüllte Dirty Dave. »Halt die Klappe und mach dein Plakat, Lukey! Sarah will sie um sechs haben! Sie kommt extra hierher!«
    »Ich krieg einen verdammten Slim Jim«, sagte Lukey mit leiser, durchdringender Stimme. »Wenn nicht, freß ich wahrscheinlich Rattenscheiße.«
    »Beachten Sie ihn gar nicht, Mr. Peebles«, sagte Dave. »Was liegt an?«
    »Nun, ich habe mich nur gefragt, ob Sie vielleicht zwei Bücher gefunden haben, als Sie letzten Donnerstag die Zeitungen geholt haben. Ich habe sie verlegt und wollte mich nur vergewissern. Sie sind in der Bibliothek überfällig.«
    »Haben Sie ‘nen Vierteldollar?« fragte der Mann mi t der Zungenspitze plötzlich. »Wie heißt das Zauberwort? Thunderbird!«
    Sam griff automatisch in die Tasche. Dave streckte die Hand aus und berührte ihn fast unterwürfig am Handgelenk.
    »Geben Sie ihm kein Geld, Mr. Peebles«, sagte er. »Das ist Ru
    dolph. Er braucht keinen Thunderbird. Der Bird bekommt ihm nicht mehr. Er braucht nur eine Nacht Schlaf.«
    »Tut mir leid«, sagte Sam. »Ich bin blank, Rudolph.«
    »Klar, wer ist das nicht«, sagte Rudolph. Als er sich wieder sei
    nem Plakat zuwandte, murmelte er: »Wie teuer? ‘n Zweuer.«
    »Ich habe keine Bücher gesehen«, sagte Dirty Dave. »Tut mir leid. Ich hab’ nur die Zeitungen geholt, wie üblich. Missus V. war da, die kann’s Ihnen bestätigen. Ich hab’ nix Falsches gemacht.«
    Aber seine vorwurfsvollen, unglücklichen Aug en verrieten, er ging nicht davon aus, daß Sam das glaubte. Im Gegensatz zu Mary lebte Dirty Dave Duncan nicht in einer Welt, wo das Verhängnis hinter der nächsten Ecke lag; er war davon umgeben. Und er lebte mit dem bißchen Würde darin, das er aufbringen konnte.

    »Ich glaube Ihnen.« Sam legte Dave eine Hand auf die Schulter.
    »Ich hab’ nur Ihre Zeitungskiste in einen meiner Säcke gekippt, wie immer«, sagte Dave.
    »Wenn ich tausend Slim Jims hätte, würd ich sie alle essen«, sagte Lukey unvermittelt. »Ich würd die Scheißdinger runterschlingen. Die sind lecker! Die sind lecker! Die sind Leckerschmecker!«.
    »Ich glaube Ihnen«, wiederholte Sam und tätschelte weiter Daves schrecklich knochige Schulter. Er fragte sich, Gott stehe ihm bei, ob Dave Flöhe haben mochte. Diesem unfreundlichen Gedanken folgte ein anderer auf den Fuß: Er fragte sich, ob andere Rotarier, diese kernigen und gutmütigen Burschen, bei denen er vor einer Woche so großen Eindruck hinterlassen hatte, in letzter Zeit einmal an diesem Ende der Stadt gewesen waren. Er fragte sich, ob sie Angle Street überhaupt kannten. Und er fragte sich, ob Spencer Michael Free an Männer wie Lukey und Rudolph und Dirty Dave gedacht hatte, als er schrieb, daß die Menschlichkeit in dieser Welt zählte
    die Berührung deiner und meiner Hand. Sam verspürte einen plötzlichen Schwall Schuldgefühle, als er sich an seine Rede erinnerte, die so voll von unschuldigen Prahlereien und Lobeshymnen auf die einfachen Freuden des Kleinstadtlebens gewesen war.
    »Das ist gut«, sagte Dave. »Dann kann ich nächsten Monat wiederkommen?«
    »Klar. Sie haben die Zeitungen zur Wiederaufbereitungsanlage gebracht, richtig?«
    »Hmhmm.« Dirty Dave deutete mit einem Finger, dessen Nagel gelb und unebenmäßig gebrochen war. »Genau dorthin. Aber die haben zu.«
    Sam nickte. »Was machen Sie?« fragte er.
    »Och, nur die Zeit vertreiben«, sagte Dave und drehte das Plakat herum, damit Sam es sehen konnte.
    Es zeigte eine lächelnde Frau, die einen Teller mit Brathähnchen hielt, und Sam sah sofort: Es war gut echt gut. Wermutbruder hin oder her, Dirty Dave hatte Talent. Über dem Bild stand in fein säuberlichen Druckbuchstaben folgendes:
    HÄHNCHENESSEN IN DER 1st METHODIST CHURCH
    ZUGUNSTEN DES OBDACHLOSENASYLS
    >ANGLE STREET<
    SONNTAG, 15. APRIL
    18.00 BIS 20.00 UHR
    ZAHLREICHES ERSCHEINEN ERWÜNSCHT

    »Das ist vor dem AATreffen«, sagte Dave, »aber von den AA kann man nichts auf das Plakat schreiben. Ist irgendwie ein Geheimnis.«
    »Ich weiß«, sagte Sam. Dann fragte er nach

Weitere Kostenlose Bücher