Nachts
das erste Semester versaut. Fusel. Egal. Möchten Sie auf eine Tasse Kaffee mit reinkommen, Mr. Peebles? Eine Weile warten? Sie könnten Sarah kennenlernen?«
»Nein, ich sollte lieber wieder gehen. Ich muß noch etwas erledigen.« So war es.
»Na gut. Sicher, daß Sie nicht wütend auf mich sind?«
»Nicht die Spur.«
Dave stand auf. »Schätze, dann geh ich auch ‘n Weilchen rein«, sagte er. »Es war ein herrlicher Tag, aber langsam wird es frisch.
Schönen Abend noch, Mr. Peebles.«
»Okay«, sagte Sam, aber er bezweifelte, daß er diesen Samstagabend viel Spaß haben würde. Doch seine Mutter hatte noch ein anderes Sprichwort gehabt: Eklige Medizin schluckt man am besten so schnell man kann. Und genau das hatte er vor.
Er ging die Stufen von Angle Street hinunter, während Dirty Dave Duncan hineinging.
2
Sam ging fast bis zum Auto zurück, dann bog er in Richtung Wiederaufbereitungsanlage ab. Er schritt langsam über den unkraut
überwucherten Aschenboden und sah einem langen Güterzug nach, der in Richtung Camden und Omaha verschwand. Die roten Lämpchen des Bremswagens funkelten wie sterbende Sterne. Aus irgendwelchen Gründen fühlte er sich immer einsam, wenn er Gü
terzüge sah, und jetzt, nach seiner Unterhaltung mit Dirty Dave, fühlte er sich einsamer denn je. Die paarmal, die er Dave gesehen hatte, wenn dieser die Zeitungen holte, schien er ein fröhlicher, fast alberner Mensch zu sein. Sam dachte, daß er heute hinter die Maske gesehen hatte, und was er gesehen hatte, machte ihn unglücklich und hilflos. Dave war ein verlorener Mensch, gelassen, aber eindeutig verloren, der sein unverkennbares, nicht unerhebliches Talent dazu benützte, Plakate für ein Kirchenessen zu malen.
Sam näherte sich der Wiederaufbereitungsanlage durch verschiedene Abfallzonen zuerst vergilbte Anzeigenbeilagen, die alten Ausgaben der Gazette entkommen waren, dann zerrissene Plastikmüllsäcke, schließlich ein Asteroidengürtel zerdepperter Flaschen und zerdrückter Dosen. Die Jalousien der kleinen Baracke waren heruntergelassen. Auf einem Schild, das an der Tür hing, stand nur: GESCHLOSSEN.
Sam zündete sich eine Zigarette an und wollte zum Auto zurück.
Er war erst ein paar Schritte gegangen, als er etwas Bekanntes auf dem Boden liegen sah. Er hob es auf. Es war der Schutzumschlag von Best Loved Poems of the American People. Die Worte EIGENTUM
DER ÖFFENTLICHEN BIBLIOTHEK JUNCTION CITY waren daraufgestempelt.
Jetzt wußte er es sicher. Er hatte die Bücher auf die Zeitungen im JohnnyWalkerKarton gelegt und dann vergessen. Auf die Bücher hatte er die nachfolgenden Zeitungen gelegt Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Donnerstagvormittag war dann Dirty Dave gekommen und hatte die ganze Sammlung in seinen Plastikmüllsack gekippt. Der Sack war auf den Einkaufswagen gewandert, der Einkaufswagen hierher, und jetzt war nur noch das hier übrig ein Schutzumschlag mit der schwachen Tätowierung einer schmutzigen Turnschuhsohle.
Sam ließ den Schutzumschlag aus den Fingern flattern und ging langsam zu seinem Auto zurück. Er hatte noch etwas zu erledigen, und es war recht und billig, daß er es zur Abendessenszeit erledigte.
Es sah so aus, als hätte er noch einen dicken Brocken zu schlukken.
Kapitel Sechs
DIE BIBLIOTHEK (II)
1
Auf halbem Weg zur Bibliothek kam ihm plötzlich ein Einfall; es war so offensichtlich, er konnte kaum fassen, daß er nicht schon früher darauf gekommen war. Er hatte zwei Bücher aus der Bibliothek verloren; er hatte herausgefunden, daß sie vernichtet worden waren; er würde sie bezahlen.
Und das war alles.
Ihm kam der Gedanke, daß Ardelia Lortz ihn erfolgreicher dazu gebracht hatte, wie ein Viertkläßler zu denken, als ihm selbst bewußt gewesen war. Wenn ein Kind ein Buch verlor, war das das Ende der Welt; es duckte sich ohnmächtig im Schatten der Bürokratie und wartete darauf, daß der Bibliothekspolizist aufkreuzte.
Aber es gab keine Bibliothekspolizei, das wußte Sam als Erwachsener ganz genau. Es gab nur städtische Angestellte wie Ms. Lortz, die ihre Stellung manchmal zu wichtig nahmen, und Steuerzahler wie ihn selbst, die manchmal vergaßen, daß sie die Hunde waren, die mit dem Schwanz wedelten, und nicht umgekehrt.
Ich gehe rein, ich entschuldige mich, und dann bitte ich sie, mir die Rechnung für die Ersatzexemplare zu schicken, dachte Sam. Und das ist alles.
Aus und vorbei.
So einfach, es war kaum zu fassen.
Er war immer noch ein wenig nervös und verlegen
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