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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mich dargestellt als die Reinkarnation von James Whistler.«
    Dave verstummte einen Augenblick und dachte nach. Dann hob er den Kopf und sah wieder über die weiten Brachfelder hinaus.
    »Bei den AA haben sie von Leuten gesprochen, die mit einem Fuß in der Zukunft und dem anderen in der Vergangenheit stehen und eben deshalb ständig auf die Gegenwart pissen. Aber manchmal ist es schwer, sich nicht zu fragen, was hätte passieren können, wenn man alles ein wenig anders gemacht hätte.«
    Er sah Naomi fast schüchtern an; sie lächelte und drückte ihm die Hand.
    »Denn ich war gut und ich war dicht dran. Aber ich habe schon damals zuviel getrunken. Ich machte mir keine Gedanken darüber
    verdammt, ich war jung, ich war kräftig, und außerdem, tranken nicht alle großen Künstler? Ich war der Meinung, daß sie es taten.
    Und trotzdem hätte ich es schaffen können hatte es sogar zeitweilig ein wenig geschafft , aber dann kam Ardelia Lortz nach Junction City. Und als sie kam, war es um mich geschehen.«
    Er sah Sam an.
    »Ich habe Sie anhand Ihrer Schilderung erkannt, Sam, aber damals hat sie nicht so ausgesehen. Sie haben erwartet, eine ältliche Bibliothekarin zu sehen, und das genügte für ihre Zwecke, also haben Sie das gesehen. Aber als sie im Sommer 1957 nach Junction City kam, war ihr Haar aschblond, und sie war nur an den Stellen üppig, wo eine Frau üppig sein soll.
    Damals lebte ich in Proverbia und besuchte die Baptistenkirche.
    Religion interessierte mich nicht besonders, aber es kamen ein paar gutaussehende Frauen hin. Deine Mom gehörte auch dazu, Sarah.«
    Naomi lachte, als könnte sie nicht so recht daran glauben.
    »Ardelia hat sich auf Anhieb prächtig mit den Leuten verstanden.
    Wenn Leute der Kirche heutzutage von ihr sprechen wenn überhaupt , dann sagen sie, jede Wette, Sachen wie: >Ich habe von Anfang an gewußt, daß mit dieser Lortz etwas nicht gestimmt hat.< Oder: >Ich habe den Augen dieser Frau nie getraut.< Aber ich sage Ihnen, es war ganz anders. Sie summten um sie herum Männer und Frauen gleichermaßen wie ein Bienenschwarm um die erste Frühlingsblume. Sie war noch keine zwei Monate in der Stadt, hatte sie schon einen Job als Mr. Lavins Assistentin, aber sogar noch zwei Wochen vorher unterrichtete sie die Kleinen in Proverbia in der Sonntagsschule.
    Was genau sie ihnen beigebracht hat, darüber möchte ich lieber nicht nachdenken jede Wette, daß es nicht das Evangelium nach Matthäus war. Aber sie unterrichtete sie, und alle sagten, wie gern die Kleinen sie hatten. Sie sagten es auch, aber wenn sie es sagten, hatten sie einen Ausdruck in den Augen einen abwesenden Ausdruck, als wären sie selbst nicht sicher, wo sie waren oder wer sie waren.

    Nun, ich warf ein Auge auf sie und sie auf mich. Heute sieht man es mir nicht mehr an, aber damals war ich ein ziemlich gutaussehender junger Mann. Ich war immer braungebrannt, weil ich im Freien arbeitete, ich hatte Muskeln, die Sonne hatte mein Haar fast blond gebleicht, und mein Bauch war so flach wie dein Bügeleisen, Sarah.
    Ardelia hatte sich ein Farmhaus etwa eineinhalb Meilen von der Kirche entfernt gemietet, ein hübsches kleines Häuschen, aber es brauchte so dringend einen neuen Anstrich wie ein Verdurstender in der Wüste einen Schluck Wasser. Bei ihrem zweiten Besuch in der Kirche, nachdem sie mir aufgefallen war ich ging nicht oft hin, und da war der August schon halb vorbei , machte ich ihr das Angebot, es ihr zu streichen.
    Sie hatte die größten Augen, die Sie je gesehen haben. Ich glaube, die meisten Menschen hätten sie grau genannt, aber wenn sie einen direkt ansah, durchdringend, hätte man geschworen, daß sie silbern waren. Und an jenem Nachmittag in der Kirche hat sie mich durchdringend angesehen. Sie hatte ein Parfüm aufgelegt, das ich vorher noch nie gerochen hatte, und auch seither nicht mehr. Lavendel, glaube ich. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber igendwie mußte ich dabei immer an kleine weiße Blumen denken, die nur erblühen, nachdem die Sonne untergegangen ist.
    Und ich war gebannt. In diesem Augenblick.
    Sie saß in meiner Nähe fast so nahe, daß unsere Körper sich berührten. Sie hatte ein schlichtes schwarzes Kleid an, so wie alte Damen es tragen, und einen Hut mit kleinem Netzschleier, und sie hielt die Handtasche vor sich. Alles schicklich und züchtig. Aber ihre Augen waren nicht schicklich. Nein, Sir. Und nicht züchtig.
    Kein bißchen.
    >Ich hoffe, Sie wollen mein neues Haus nicht

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