Nachts
und abzuschätzen versuchte, wieviel Farbe ich brauchen würde, brachte sie mir in einem hohen Glas etwas zu trinken. Es war ein Strohhalm und ein Minzezweig darin. Ich dachte, es wäre Eistee, bis ich einen Schluck getrunken hatte. Es war Scotch pur.
>Himmel!< sag ich fast würgend.
>Willst du es nicht?< fragt sie und lächelt mich auf ihre spöttische Art an. Vielleicht hättest du lieber Eiskaffee?<
>Oh, ich will es<, sag ich, aber es war mehr als das. Ich brauchte es.
Damals versuchte ich, tagsüber nicht zu trinken, weil das typisch für Alkoholiker ist. Nun war es damit vorbei. Solange ich mit ihr zusammen war, trank ich fast den ganzen Tag jeden Tag. Für mich waren die letzten zweieinhalb Jahre von Ikes Präsidentschaft eine einzige lange Zechtour.
Während ich ihr Haus strich und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihr anstellte, was sie zuließ , nistete sie sich in der Bibliothek ein. Mr. Lavin hat sie in Null Komma nichts eingestellt und ihr die Kinderbibliothek überlassen. Ich ging dorthin, so oft ich konnte, und das war oft, da ich selbständig war. Als Mr. Lavin mich darauf ansprach, wieviel Zeit ich dort verbrachte, versprach ich ihm, das ganze Innere der Bibliothek kostenlos zu streichen.
Danach ließ er mich kommen und gehen, wie ich wollte. Ardelia hatte mir gesagt, daß es genauso kommen würde, und sie hatte wie üblich recht behalten.
Ich habe keine zusammenhängenden Erinnerungen an die Zeit, die ich unter ihrem Bann verbracht habe und genau das war ich, ein verhexter Mann unter dem Bann einer Frau, die eigentlich gar keine Frau war. Es handelte sich nicht um die Aussetzer, die Trinker manchmal haben; ich wollte vieles vergessen, wenn es vorbei war.
Ich habe Erinnerungen, die zusammenhanglos sind, aber dennoch eine Kette bilden, so wie diese Inseln im Pazifik.
Ich kann mich noch erinnern, sie hat das Plakat mit Rotkäppchen etwa einen Monat vor Mr. Lavins Tod an die Tür der Kinderbibliothek gehängt, und ich kann mich auch erinnern, wie sie einmal einen kleinen Jungen an der Hand nahm und ihn dorthin führte.
>Siehst du das kleine Mädchen?< fragte Ardelia ihn. >Ja<, sagt er.
>Weißt du, warum der Bösewicht sie gleich fressen wird?< fragt Ardelia. >Nein<, antwortet der Junge, dessen Augen groß und ernst und voller Tränen sind. >Weil es vergessen hat, seine Bibliotheksbücher rechtzeitig zurückzubringen, sagt sie. >Das wirst du nie machen, Willy, oder?< >Nein, nie<, sagt der kleine Junge, und Ardelia antwortet: >Besser nicht.< Und dann führt sie ihn zur Märchenstunde in die Kinderbibliothek immer noch an der Hand. Der Junge es war Willy Klemmart, der in Vietnam gefallen ist sah über die Schulter zu mir. Ich stand mit dem Pinsel in der Hand auf einem Gerüst, und ich konnte seine Augen wie die Schlagzeile einer Zeitung lesen. Retten Sie mich vor ihr, sagten diese Augen. Bitte, Mr. Duncan. Aber wie konnte ich ihn retten? Ich konnte ja nicht einmal mich selbst retten.«
Dave holte ein sauberes, arg zerknülltes Taschentuch aus den Tiefen einer Gesäßtasche und schneuzte sich gewaltig.
»Anfangs dachte Mr. Lavin noch, Ardelia könnte buchstäblich auf Wasser wandeln, aber nach einer Weile hat er seine Meinung geändert. Etwa eine Woche vor seinem Tod hatten sie einen schlimmen Streit wegen diesem RotkäppchenPlakat. Es hatte ihm nie gefallen. Vielleicht hatte er keine rechte Vo rstellung, was sich während der Märchenstunde abspielte darauf komme ich gleich zu sprechen , aber völlig blind war er auch nicht. Er merkte, wie die Kinder das Plakat ansahen. Schließlich bat er sie, es wieder abzuhängen. So fing der Streit an. Ich konnte nicht alles hören, weil ich auf dem Gerüst stand, hoch über ihnen, und die Akustik war schlecht, aber ich hörte genug. Er sagte etwas von wegen den Kindern Angst machen oder so, und sie antwortete, es würde ihr heifen, das Rowdyelement unter Kontrolle zu behalten. Sie bezeichnete das Plakat als Erziehungsmittel, genau wie den Rohrstock.
Aber er beharrte auf seinem Standpunkt, und so mußte sie es schließlich abhängen. An diesem Abend, in ihrem Haus, war sie wie ein Tiger im Zoo, den ein Kind den ganzen Tag lang mit einem Stecken gepiekst hat. Sie ging mit großen, langen, kräftigen Schritten hin und her. Ich lag im Bett und war betrunken wie ein Amtmann. Aber ich kann mich erinnern, wie sie sich umdrehte und ihre Augen sich von Silber in Rot verwandelt hatten, als hätte ihr Gehirn Feuer gefangen; und ihr Mund sah auch komisch aus,
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