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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dem anderen ins Gesicht und versuchte, hinter irgendeinem das Böse zu entdecken.
    Diesmal verhaftete die Polizei niemanden. Die blauen Streifenwagen fuhren in den nebligen Nächten des achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten unaufhörlich auf dem Campusgelände Patrouille, und Scheinwerfer bohrten sich mit regellosem Eifer in dunkle Ecken und Winkel. Die Schulleitung verhängte eine Ausgangssperre ab einundzwanzig Uhr. Ein mutiges Pärchen, das engumschlungen in den Büschen in der Nähe des Täte Alumni Building entdeckt wurde, wurde zum Polizeirevier von New Sharon gebracht und dort drei Stunden lang erbarmungslos ausgequetscht.
    Es gab einen hysterischen Falschalarm, als man auf demselben Parkplatz, auf dem die Leiche von Gale Cerman entdeckt worden war, einen bewußtlosen Jungen fand. Ein kopfloser Campuspolizist lud ihn auf den Rücksitz seines Streifenwagens, deckte sein Gesicht mit einer Landkarte zu, ohne sich erst die Mühe zu machen, seinen Puls zu fühlen, und raste dann mit heulender Sirene quer über den verlassenen Campus in Richtung Krankenhaus.
    Auf halbem Weg dorthin hatte sich der Tote im Wagenfond aufgerichtet und tonlos gefragt: »Wo zum Teufel bin ich?« Der Polizist stieß einen Schrei aus und kam von der Straße ab. Wie sich nachher herausstellte, handelte es sich bei der vermeintli-chen Leiche um einen Studenten namens Donald Morris, der die letzten zwei Tage mit einer anständigen Grippe im Bett gelegen hatte - war es in jenem Jahr die asiatische? Ich kann es nicht mehr genau sagen. Wie auch immer, er war jedenfalls auf dem Weg zur Mensa, um sich dort mit einer heißen Suppe und belegten Broten zu stärken, als er auf dem Parkplatz ohnmächtig wurde.
    Die folgenden Tage waren warm und bedeckt. Man bildete kleine Grüppchen, die sehr leicht wieder auseinanderbrachen, um sich überraschend schnell wieder neu zu formieren. Man kam nämlich sehr schnell auf merkwürdige Gedanken, wenn man zu lange in dieselben Gesichter sah. Und die Geschwindigkeit, mit der sich Gerüchte von einem Ende des Campus bis zum anderen ausbreiteten, näherte sich langsam aber sicher der des Lichts; jemand hatte einen allgemein beliebten Geschichtsprofessor unten bei der kleinen Brücke lachen und weinen gehört; Gale Cerman hatte auf dem Asphalt des Parkplatzes der veterinärmedizinischen Fakultät eine mysteriöse Botschaft hinterlassen, die aus zwei Worten bestand und mit ihrem eigenen Blut geschrieben war; beide Morde waren in Wirklichkeit politische Verbrechen, rituelle Morde, die von einer Splittergruppe der Studentenbewegung für eine Demokratische Gesellschaft begangen worden waren. Letzteres Gerücht war wirklich lachhaft. Die New Sharon Studentenvereinigung für eine Demokratische Gesellschaft bestand nämlich nur aus sieben Mitgliedern.
    Wo hätte man da noch eine Splittergruppe hernehmen sollen?
    Diese Tatsache brachte eine noch finsterere Variante von den Rechten des Campus: Agitation von’außen. Also hielten wir in diesen etwas verrückten, warmen Tagen alle Ausschau nach fremden Agitatoren.
    Die Presse, die ja immer unberechenbar ist, ignorierte’ die starke Ähnlichkeit unseres Mörders mit Jack the Ripper und grub weiter zurück - bis 1819. Ann Bray war auf durchweichtem Boden ein paar Meter vom nächsten Weg entfernt gefunden worden, trotzdem gab es keine Fußabdrücke, nicht einmal ihre eigenen. Ein Journalist aus New Hampshire mit einer Passion für alles Geheimnisvolle taufte den Mörder den unheimlichen Jack, nach dem berüchtigten Dr. John Hawkins aus Bristol, der fünf seiner Ehefrauen mit unbekömmlichen Pharmazieprodukten ums Leben brachte. Und der Name blieb hängen, vermutlich wegen jenes durchweichten und doch spurenlosen Bodens. 
    Am einundzwanzigsten regnete es wieder, und der ganze Campus war eine einzige Morastlandschaft. Die Polizei gab bekannt, daß sie männliche und weibliche Detektive in Zivil eingesetzt habe und zog die Hälfte der Streifenwagen wieder ab.
    Die Studentenzeitung veröffentlichte ein ziemlich empörtes, wenn auch etwas unlogisches Editorial, in dem sie gegen diese Maßnahme der Polizei protestierte.
    Das Fazit schien darauf hinauszulaufen, daß es bei all den verkleideten Polizisten unter den Studenten unmöglich würde, einen echten Agitator von außen von einem falschen zu unter-scheiden.
    Mit der Dämmerung kam der Nebel, der langsam, fast nachdenklich über die baumbestandenen Wege trieb und die Gebäude eins nach dem anderen verhüllte. Er war weich und

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