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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zog sich zurück und hinterließ nur ein riesiges, zersplittertes Loch, das von schwarzem Schleim umgeben war. Noch einmal erklang ein lauter, quäkender Schrei, der in unvorstellbaren Fernen zu verhallen schien, und dann war es verschwunden.
    Ich sah zu Boden. Das Buch war zu Asche verbrannt.
    Ich fing an zu lachen und dann zu heulen wie ein geprügelter Hund.
    Mein Verstand verließ mich; mit blutender Schläfe setzte ich mich auf den Boden und schrie und lallte in jene gottlosen Schatten, während Calvin, Arme und Beine von sich gestreckt, in der gegenüberliegenden Ecke lag und mich aus glasigen Augen, in denen noch sein Entsetzen zu sehen war, anstarrte.
    Ich kann nicht sagen, wie lange ich in diesem Zustand da saß. Doch als ich wieder zur Besinnung kam, waren die Schatten um mich herum länger geworden, und ich fand mich im Dämmerlicht dort sitzen. Eine Bewegung hatte meine Aufmerksamkeit erregt, eine Bewegung in jenem Loch, das im Boden des Narthex war.
    Eine Hand tastete über die geborstenen Holzplanken.
    Mein irres Lachen erstickte mir in der Kehle. Alle Hysterie schmolz in betäubte Gefühllosigkeit.
    Ganz langsam, entsetzlich langsam, zog sich eine verweste Gestalt aus der Dunkelheit empor, und ein Kopf, der teilweise nur noch aus nackten Knochen bestand, starrte mich an. Käfer krabbelten über die fleischlose Stirn. Eine vermoderte Soutane schlotterte um die halb, verfaulten Schlüsselbeine. Nur die Augen lebten - rote Höhlen, aus denen mehr als bloßer Wahnsinn leuchtete, als sie mich anstarrten; in ihnen funkelte das eitle Leben der weglosen Öde hinter dem Rand des Universums.
    Sie kam, um mich in die Dunkelheit hinunterzuzerren.
    Ich floh schreiend und ließ den Leichnam meines lebenslangen Freundes unbeachtet an diesem Ort des Grauens zurück.
    Ich rannte, bis die Luft wie glühendes Magma in meinen Lungen und meinem Gehirn brannte. Ich rannte, bis ich dieses besessene und verfluchte Haus und mein Zimmer erreicht hatte, wo ich zusammenbrach und bis heute wie ein Toter gelegen habe. Ich rannte davon, weil ich sogar in meinem irren Zustand und obwohl jene tote und doch belebte Gestalt halb verwest war, dennoch die Familienähnlichkeit bemerkt hatte. Aber nicht mit Philip oder Robert, dessen Porträts in der oberen Galerie hängen. Jenes vermoderte Gesicht gehörte James Boon, dem Hüter des Wurms!
    Er lebt noch immer in den gewundenen, finsteren Gängen unter Jerusalem’s Lot und Chapelwaite - und auch Es lebt immer noch. Die Zerstörung des Buches hat Ihm zwar eine Niederlage beigebracht, aber es existieren noch andere Exemplare.
    Doch ich bin das Tor, und ich bin der letzte vom Blute der Boones. Zum Wohl der ganzen Menschheit muß ich sterben …
    und die Fesseln für immer brechen.
    Ich gehe jetzt hinunter zum Meer, Bones. Meine Reise, wie meine Geschichte, ist hier zu Ende. Möge Gott Euch beschützen und Euch Seinen Frieden geben.
    CHARLES.

    Die merkwürdigen Briefe erreichten schließlich Mr. Everett Granson, an den sie adressiert waren. Es wird vermutet, daß Charles Boone infolge eines neuerlichen Anfalls jenes unseligen Gehirnfiebers, an dem er schon einmal, nach dem Tod seiner Frau 1848, gelitten hatte, den Verstand verloren und seinen Begleiter und langjährigen Freund, Mr. Calvin McCann, ermordet hat.
    Die Einträge in Mr. McCanns Tagebuch sind faszinierende Fälschungen, die Charles Boone zweifellos selbst begangen hat in dem Bestreben, seine eigenen paranoiden Selbsttäuschungen zu untermauern.
    In zumindest zwei Punkten aber lassen sich Charles Boones Ausführungen widerlegen. Erstens, als der Ort Jerusalem’s Lot »wiederentdeckt« wurde (ich benutze den Ausdruck natürlich in historischem Sinn), war der Boden des Narthex zwar sehr wohl verrottet, wies aber keine Spuren einer Zerstörung oder größerer Beschädigungen auf.
    Die alten Kirchenstühle waren tatsächlich umgestürzt und mehrere Fenster zerbrochen, doch dies ist aller Wahrscheinlichkeit nach das Werk von Vandalen aus den umliegenden Orten gewesen, die im Laufe der Jahre hier gewütet haben.
    Unter den älteren Bewohnern von Preacher’s Corners und Tandrell kursieren immer noch haltlose Gerüchte über Jerusalem’s Lot (vielleicht ist es eine solche harmlose Überlieferung gewesen, die Charles Boones Geist auf jenen fatalen Weg gebracht hat), aber sie sind offensichtlich kaum von irgendeiner Bedeutung.
    Zum zweiten war Charles Boone nicht der letzte seiner Linie.
    Sein Großvater, Robert Boone, hat wenigstens

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