Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
nach Jerusalem’s Lot zurückzugehen; es wird sein Tod sein, wenn ich es zulasse. Ob ich es wagen kann, heimlich nach Preacher’s Corners zu gehen und einen Wagen zu mieten? Ich muß, was aber, wenn er erwacht? Wenn ich bei meiner Rückkehr entdecken müßte, daß er fort ist?
    Die Geräusche in unseren Wänden haben wieder angefangen. Gott sei Dank schläft er noch! Mein Geist schreckt zurück vor dem Gedanken daran, was sie bedeuten.
    Später
    Ich habe ihm auf einem Tablett sein Abendessen gebracht. Er hat vor, später aufzustehen, und ich weiß, was er plant, trotz seiner Ausflüchte. Dennoch werde ich nach Preacher’s Corners gehen. Ich habe bei meinen Sachen noch ein paar der Schlafmittel, die er während seiner jüngsten Krankheit verschrieben bekommen hat; er hat eins davon ahnungslos mit dem Tee zu sich genommen. Jetzt schläft er wieder.
    Der Gedanke, ihn mit den Wesen alleinzulassen, die hinter unseren Wänden rumoren, beängstigt mich, doch der Gedanke, ihn noch einen Tag länger innerhalb dieser Wände zu lassen, beängstigt mich noch viel mehr. Ich habe ihn eingeschlossen.
    Gott gebe, daß er dort immer noch liegt und schläft, wenn ich mit dem Wagen zurückkehre!
    Noch später
    Gesteinigt! Sie haben mich gesteinigt wie einen wilden, tollwütigen Hund! Diese Monster, diese Teufel, die sich Menschen nennen. Wir sind Gefangene hier-
    Die Vögel, die Ziegenmelker, haben angefangen, sich zu sammeln.

    26. Oktober 1850

    Lieber Bones,
    der Abend bricht bald herein, und ich bin soeben aufgewacht, nachdem ich die letzten vierundzwanzig Stunden fast ganz verschlafen habe. Obwohl Cal nichts gesagt hat, vermute ich, daß er mir ein Schlafpulver in den Tee gegeben hat, weil er wußte, was ich vorhatte. Er ist ein guter und treuer Freund, der nur das Beste für mich will, und deshalb werde ich nichts sagen.
    Mein Entschluß steht jedoch fest. Morgen ist der Tag. Ich bin ruhig und entschlossen, aber ich meine auch, wieder den tückischen Beginn des Fiebers zu spüren. Wenn es so ist, dann muß es morgen geschehen. Vielleicht wäre es heute abend noch besser, doch nicht einmal das Feuer der Hölle selbst könnte mich dazu bewegen, nach Anbruch der Abenddämmerung noch einen Fuß in jenes Dorf zu setzen.
    Sollte ich nicht mehr schreiben, möge Gott Dich segnen und beschützen.
    CHARLES.
    Postskriptum - Die Vögel haben ihr Geschrei begonnen, und auch die fürchterlichen, schlurfenden Geräusche haben wieder angefangen. Cal glaubt, ich würde es nicht hören, aber ich höre es doch.
    C.

    (Aus dem Tagebuch von Calvin McCann)
    27. Oktober ‘50, 5 Uhr morgens
    Er will sich nicht von seinem Entschluß abbringen lassen.
    Abo gut. Ich werde mit ihm gehen.
     
    4. November 1850

    Lieber Bones,
    bin schwach, doch geistig klar. Ich bin mir nicht sicher, welches Datum wir heute haben, aber nach dem Stand der Gezeiten und dem Sonnenuntergang in meinem Kalender müßte es stimmen. Ich sitze an meinem Schreibtisch, von wo aus ich Dir zum erstenmal aus Chapelwaite geschrieben habe, und schaue auf die dunkle See hinaus, über der die letzten Lichtstrahlen rasch schwächer werden. Ich werde nie wieder die Sonne sehen. Heute ist meine Nacht; ich werde sie den Schatten überlassen, die da sind.
    Wie das Meer gegen die Felsen schlägt! Es schleudert Wolkenfetzen aus Wasserschaum hoch in den dunkler werdenden Himmel und läßt den Boden unter meinen Füßen erzittern. Im Fensterglas sehe ich mein Spiegelbild, das Gesicht blaß wie das eines Vampirs. Seit dem siebenundzwanzigsten Oktober bin ich ohne Nahrung und wäre auch ohne Wasser gewesen, hätte Cal nicht an jenem Tag die Karaffe neben mein Bett gestellt.
    O, Cal! Er ist nicht mehr, Bones. Er ist an meiner Stelle gestorben, an der Stelle dieses armen Teufels mit zündholzdürren Armen und einem Totenschädel, dessen Spiegelbild das dunkle Glas zurückwirft. Und doch ist er vielleicht der Glück-lichere von uns beiden, denn ihn quälen keine Alpträume, wie sie mich in den letzten Tagen gepeinigt haben - merkwürdige, verzerrte Formen und Gestalten, die in den Traumkorridoren des Deliriums lauern. Auch jetzt zittert meine Hand; ich habe die Seite mit Tintenflecken beschmiert.
    Calvin stellte mich an jenem Morgen, gerade als ich mich davonschleichen wollte, zur Rede - und ich hatte gedacht, ich wäre so schlau gewesen. Ich hatte ihm erklärt, ich sei zu dem Schluß gelangt, daß wir abreisen müßten, und ihn gebeten, nach Tandrell zu gehen, das ungefähr zehn Meilen entfernt liegt

Weitere Kostenlose Bücher