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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Rücken lag und starr vor Entsetzen aufblickte - die perfekte Opferung. Hunton sah nur etwas Schwarzes, Verschwommenes, das sich riesengroß vor ihnen aufbaute, ein offenes Maul mit einer Zunge aus Segeltuch, und elektrische Augen, groß wie Fußbälle, die sie böse anfunkelten.
    Er rannte los: Jacksons Todesschrei verfolgte ihn.
    Als Roger Martin endlich die Tür aufmachte, schlief er noch halb, doch als Hunton ins Zimmer taumelte, war er mit einem Schlag hellwach.
    Huntons wahnsinniger, schreckgeweiteter Blick durchbohrte ihn, seine Hände krallten sich in Martins Morgenmantel. Auf der Wange hatte Hunton eine kleine, blutende Schnittwunde, ansonsten war sein Gesicht über und über mit schmutzig-grauem Zementstaub bedeckt.
    Seine Haare waren ganz grau.
    »Hilf mir … um Gottes willen, hilf mir. Mark ist tot. Jackson ist tot.«
    »Beruhige dich«, erwiderte Martin. »Komm mit ins Wohnzimmer.«
    Hunton folgte ihm weinend.
    Martin schenkte ihm einen doppelten Jim Beam ein. Hunton hielt das Glas mit beiden Händen fest und würgte den puren Whisky mit einem einzigen Schluck herunter. Das Glas fiel unbeachtet auf den Teppich, und seine zitternden Hände griffen wieder nach Martins Kragen.
    »Der Mangler hat Mark Jackson getötet. Er … er, o mein Gott, er könnte ausbrechen! Wir müssen verhindern, daß er da rauskommt! Wir müssen … wir …oh –«
    Hunton schluchzte laut vor sich hin.
    Martin wollte ihm nachschenken, aber Hunton wehrte ab.
    »Wir müssen ihn verbrennen«, fuhr er fort. »Verbrennen, bevor er raus kann. Oh, was ist, wenn er ausbricht. O Gott, was ist, wenn -« Seine Augen zuckten plötzlich, blickten glasig, verdrehten sich, und er fiel ohnmächtig zu Boden.
    Mrs. Martin stand in der Tür und klammerte sich an den Kragen ihres Morgenmantels. »Wer ist das, Rog? Ist er verrückt? Ich dachte -« Sie erschauerte.
    »Ich glaube nicht, daß er verrückt ist.« Der Ausdruck nackter Angst im Gesicht ihres Mannes beunruhigte sie plötzlich. »Lieber Gott, ich hoffe nur, er kam früh genug.«
    Er ging zum Telefon, nahm den Hörer ab - und erstarrte.
    Von der Ostseite des Hauses, von der auch Hunton gekommen war, näherte sich ein schwaches, langsam anschwellendes Geräusch. Ein gleichmäßiges, schleifendes, immer lauter werdendes Trampeln. Durch das halb geöffnete Wohnzimmerfenster drang Martin ein schwerer Geruch in die Nase. Es roch nach Ozon … oder Blut.
    Er stand da, mit dem nutzlos gewordenen Telefonhörer in der Hand, während das Geräusch immer lauter und lauter wurde, knirschend und fauchend, etwas Heißes und Dampfendes auf der Straße. Der Gestank von Blut erfüllte das Zimmer.
    Er ließ den Hörer fallen.
    Es war schon zu spät. 

Das Schreckgespenst
    »Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich meine Geschichte erzählen will«, sagte der Mann auf Dr. Harpers Couch. Er hieß Lester Billings und stammte aus Waterbury in Connecticut. Nach den Angaben, die Schwester Vickers notiert hatte, war er achtundzwanzig Jahre alt, arbeitete in einem Industriebetrieb in New York, war geschieden und Vater von drei Kindern. Alle tot.
    »Ich kann nicht zum Pfarrer gehen, denn ich bin nicht katholisch. Ich kann nicht zum Anwalt gehen, denn ich habe nichts getan, weshalb ich einen Anwalt konsultieren müßte. Ich habe nur meine Kinder umgebracht. Nacheinander. Ich habe sie alle umgebracht.«
    Dr. Harper stellte das Tonband an.
    Stocksteif lag Billings auf der Couch, und am unteren Ende ragten seine Füße hervor. Er bot das Bild eines Mannes, der gelassen eine Demütigung erträgt. Er hatte die Hände über der Brust gefaltet, wie man es bei Leichen sieht. Seinem Gesicht war keine Regung anzumerken. Er starrte zur weißen Stuck-decke hinauf, als spiegelten sich dort dramatische Szenen ab.
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie sie wirklich getötet haben, oder -«
    »Nein.« Ungeduldig schnippte er mit den Fingern. »Aber ich war verantwortlich. Denny 1967. Shirl 1971. Und in diesem Jahr war es Andy. Ich will es Ihnen erzählen.«
    Dr. Harper sagte nichts. Er fand, daß Billings hager und alt aussah. Die Haare fielen ihm schon aus, und er hatte eine ungesunde Gesichtsfarbe. In seinen Augen lag das ganze Elend des ständigen Whiskysaufens.
    »Sie wurden ermordet, verstehen Sie? Aber das glaubt keiner. Wenn sie es nur glauben würden, wäre alles in Ordnung.«
    »Wieso das?«
    »Weil …«
    Billings sprach nicht weiter. Er fuhr plötzlich hoch und stützte sich auf die Ellenbogen. Er starrte zur gegenüberliegen den

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