Nachtschicht
Daddy.‹
Ich machte das Licht aus, ging in unser Schlafzimmer und fragte Rita, wieso sie dem Jungen solche Worte beibringt. Am liebsten hätte ich ihr eine aufs Maul gehauen, aber ich tat es nicht. Sie sagte, sie hätte ihm das Wort nicht beigebracht, und ich nannte sie eine dreckige Lügnerin.
Ein schlimmer Sommer für mich, wissen Sie. Ich hatte keine Arbeit. Endlich fand ich einen Job. Ich mußte in einem Lagerhaus Pepsi-Cola-Kästen auf Lastwagen laden. Ich war dauernd müde. Shirl wachte jede Nacht auf und heulte. Rita nahm sie dann immer auf den Arm und heulte auch. Zuweilen hatte ich nicht übel Lust, alle beide aus dem Fenster zu schmeißen.
Verdammt, Kinder können einen manchmal verrückt machen.
Man möchte sie umbringen.
Das Kind weckte mich morgens pünktlich um drei Uhr. Ich ging ins Badezimmer. Ich war noch schlaftrunken, wissen Sie, und Rita bat mich, nach Denny zu schauen. Ich sagte ihr, sie soll es gefälligst selbst tun und ging wieder ins Bett. Ich war schon fast eingeschlafen, als sie plötzlich schrie.
Ich stand auf und ging hinein. Das Kind lag tot auf dem Rücken. Es war weiß wie Mehl, außer wo das Blut … ausgetreten war. Hinten an den Beinen, am Kopf, am Ar - an den Hinterbacken. Es hatte die Augen weit geöffnet. Das war ja das Schreckliche. Sie waren weit geöffnet und glasig, wie die Augen an einem Elchkopf, den sich jemand über den Kamin gehängt hat. Oder wie die Bilder von den toten Vietnamesen-kindern. So darf doch kein amerikanisches Kind aussehen. Tot auf dem Rücken. Es hatte Wandeln und Gummihosen an, weil es sich in den letzten Wochen immer wieder naßgemacht hatte. Entsetzlich. Wie habe ich das Kind geliebt.«
Billings schüttelte langsam den Kopf. Wieder verzog er die Lippen zu einem widerwärtigen schmierigen Grinsen.
»Rita schrie wie verrückt. Sie wollte Denny hochnehmen und ihn schütteln, aber das ließ ich nicht zu. Die Polizei sieht es nicht gern, wenn man Spuren verwischt oder was verändert.
Das weiß ich genau.«
»Wußten Sie zu der Zeit schon, daß es das Schreckgespenst war?« fragte Harper ruhig.
»O nein. Zu der Zeit noch nicht. Aber ich sah etwas. Es war für mich in dem Augenblick ohne Bedeutung, aber ich habe es nicht vergessen.«
»Was war das?«
»Die Schranktür war offen. Nicht weit, nur einen Spalt. Aber ich wußte, daß ich den Schrank geschlossen hatte. Ich bewahre dort Plastiksäcke von der chemischen Reinigung auf. Wenn ein Kind damit spielt, ist es plötzlich passiert. Es erstickt. Wußten Sie das?«
»Ja. Und was geschah dann?«
Billings zuckte die Achseln. »Wir haben ihn begraben.«
Unglücklich betrachtete er die Hände, die Erde auf drei kleine Särge geworfen hatten.
»Wurde denn kein Arzt zugezogen?«
»Natürlich.« Billings sah Harper höhnisch an. »Irgend so ein Hinterwäldler kam. Ein Arschloch mit einem Stethoskop und einer schwarzen Tasche voll Pillen. Apnoe nannte er das! Bei Babys gelegentlich auftretende unzureichende Steuerung des Atems durch das Gehirn. Haben Sie solche Scheiße schon mal gehört? Der Junge war schon drei Jahre alt!«
»Apnoe tritt gewöhnlich nur während des ersten Lebensjahres auf«, sagte Harper vorsichtig. »Aber diese Diagnose hat man schon bei Kindern bis zu fünf Jahren auf den Totenscheinen gelesen, weil man keine bessere wußte-«
»Scheiße!« zischte Billings wütend.
Harper zündete sich die Pfeife wieder an.
»Einen Monat nach der Beerdigung ließen wir Shirl in Dennys früherem Zimmer schlafen. Rita wehrte sich erbittert, aber ich hatte das letzte Wort. Es tat mir ja selbst leid. Mein Gott, wie gern hatte ich es, wenn die Kinder bei uns im Zimmer schliefen. Aber man darf Kinder nicht übermäßig verhätscheln. So macht man aus ihnen seelische Krüppel. Als ich noch ein Kind war, nahm meine Mutter mich an den Strand mit. Und dann schrie sie sich heiser. ›Geh nicht so weit raus! Bleib da weg! Denk an die Strömung! Nur bis zum Hals ins Wasser! Du hast vor einer Stunde erst gegessen!‹ Mein Gott, ich mußte mich sogar vor Haifischen in acht nehmen. Und was war der Erfolg?
Mir wird übel, wenn ich Wasser nur von weitem sehe. Das ist die reine Wahrheit. Ich kriege Krämpfe, wenn ich an einen Strand gehe. Als Denny noch lebte, verlangte Rita mal von mir, daß ich mit ihr und den Kindern nach Savin Rock fahre. Mir wurde speiübel. Nein, man darf Kinder nicht verhätscheln.
Und man darf sich selbst auch nicht verweichlichen. Das Leben geht weiter. Shirl mußte dann in
Weitere Kostenlose Bücher