Nachtschicht
Dennys Bett schlafen. Die alte Matratze haben wir natürlich weggeworfen. Ich wollte nicht, daß meine Tochter sich vielleicht ansteckt.
So vergeht ein Jahr. Und eines Abends, als ich Shirl ins Bett bringe, fängt sie an zu jaulen und zu schreien und zu weinen.
›Schreckgespenst, Daddy, Schreckgespenst, Schreckgespenst!‹ Ich war entsetzt. Genau wie bei Denny. Und ich erinnerte mich an die Schranktür, die einen Spalt offenstand, als wir ihn fanden. Ich wollte sie für die Nacht in unser Schlafzimmer mitnehmen.«
»Taten Sie das?«
»Nein.« Billings betrachtete wieder seine Hände, und sein Gesicht zuckte. »Wie konnte ich Rita gegenüber zugeben, daß ich unrecht hatte? Ich mußte stark sein. Wo sie doch selbst so schlapp ist … wenn ich daran denke, daß sie ohne weiteres mit mir ins Bett ging, als wir noch nicht verheiratet waren.«
»Andererseits sind Sie ohne weiteres mit ihr ins Bett gegangen«, sagte Harper.
Billings Bewegungen erstarrten, und ganz langsam drehte er sich zu Harper um. »Sie wollen wohl besonders schlau sein, was?«
»Durchaus nicht«, sagte Harper.
»Dann lassen Sie es mich doch auf meine Weise erzählen«, keifte Billings. »Ich bin hergekommen, um mir alles von der Seele zu reden. Meine Geschichte zu erzählen. Ich will nicht über mein Sexualleben reden, wenn Sie das vielleicht geglaubt haben. Rita und ich hatten ein ganz normales Sexualleben. Ohne jede Sauerei. Ich weiß, daß einige Leute geil darauf sind, darüber zu reden, aber zu denen gehöre ich nicht …«
»Okay«, sagte Harper.
»Okay«, wiederholte Billings mit halbherziger Arroganz. Er schien den Faden verloren zu haben. Unruhig schaute er zum Schrank hinüber. Die Tür war fest geschlossen.
»Soll ich ihn öffnen?« fragte Harper.
»Nein!« sagte Billings schnell. Er lachte nervös. »Wozu soll ich mir Ihre Galoschen ansehen?«
»Das Schreckgespenst hat auch meine Tochter geholt«, sagte Billings dann. Er wischte sich über die Stirn, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. »Einen Monat später. Aber vorher passierte noch etwas anderes. Ich hörte eines Abends ein Geräusch. Und dann fing sie an zu schreien. Ich öffnete rasch die Tür - das Flurlicht brannte - und … sie saß in ihrem Bettchen und weinte, und … etwas bewegte sich. Hinten im Schatten, am Schrank. Etwas rutschte da herum.«
»War die Schranktür offen?«
»Nur einen Spalt.« Billings leckte sich die Lippen. »Shirl schrie immer noch vom Schreckgespenst. Und sie sagte noch etwas anderes, das sich wie ›Pranke‹ anhörte. Kleine Kinder sprechen manche Worte noch falsch aus. Rita rannte nach oben und fragte, was los sei. Ich sagte, die Kleine hätte sich nur vor den Schatten der Zweige an der Decke gefürchtet.«
»Schrank?« fragte Harper.
»Was?«
»Schrank … vielleicht wollte sie ›Schrank‹ sagen.«
»Vielleicht«, meinte Billings. »Vielleicht wollte sie das. Aber ich glaube es nicht. Ich glaube, es war das Wort ›Pranke‹.« Sein Blick richtete sich wieder auf die Schranktür. »Klauen, lange Klauen.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Haben Sie in den Schrank hineingeschaut?«
»J-ja.« Billings hatte die Hände so fest vor der Brust verschränkt, daß die Knöchel weiß hervortraten.
»War denn etwas darin? Sahen Sie das -«
»Ich habe gar nichts gesehen!« schrie Billings plötzlich. Und die Worte sprudelten aus ihm hervor, als ob man aus den Tiefen seiner Seele einen schwarzen Korken herausgezogen hätte:
»Ich fand sie, als sie starb, wissen Sie. Und sie war schwarz.
Ganz schwarz. Sie war an ihrer eigenen Zunge erstickt und schwarz wie ein Negerdarsteller im Variete. Und sie starrte mich an. Ihre Augen sahen aus wie die Augen von ausgestopf-ten Tieren. Entsetzlich. Sie glänzten wie lebende Murmeln, und sie sagten, es hat mich gekriegt, Daddy, du hast mich umgebracht, du hast ihm geholfen, mich umzubringen …« Er verstummte, und eine einzige große Träne lief ihm über die Wange.
»Es war ein Gehirnkrampf«, fuhr Billings fort. »Das kriegen Kinder manchmal. Falsche Signale aus dem Gehirn. In Hartford wurde eine Obduktion durchgeführt, und man sagte uns, sie sei durch die Krämpfe an ihrer eigenen Zunge erstickt. Ich mußte allein nach Hause gehen, denn sie hatten Rita Beruhigungsmittel gegeben. Sie war völlig verstört. Ich ging allein zum Haus zurück, und ich weiß, daß ein Kind nicht gleich Krämpfe kriegt, nur weil sein Gehirn mal nicht richtig funktioniert. Man kann ein Kind aber so
Weitere Kostenlose Bücher