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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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- Krebs -, und in meinem letzten Gespräch mit ihr bat sie mich, weiterzumachen und meine Ausbildung zu beenden. Mein Bruder, er war älter als ich, starb, als wir beide noch ziemlich jung waren. Er hatte Lehrer werden wollen, und sie dachte …«
    Er konnte ihrem Blick ansehen, daß er abschweifte und dachte: Mein Gott, ich baue Mist.
    »Ich habe ihr ihren Wunsch erfüllt«, fuhr er fort, ohne weiter auf die komplizierte Beziehung zwischen seiner Mutter, seinem Bruder Wayne - der arme Wayne, den sie ermordet hatten - und ihm selbst einzugehen. »In der zweiten Woche meines Unterrichtspraktikums wurde meine Verlobte bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht angefahren. Irgendein jugendlicher Raser mit einem frisierten Wagen … sie haben ihn nie geschnappt.«
    Simmons brummte ermutigend.
    »Ich machte weiter. Es schien keinen anderen Weg für mich zu geben. Sie hatte ziemliche Schmerzen - ein komplizierter Beinbruch und vier gebrochene Rippen -, aber es war nichts Lebensgefährliches. Ich glaube, mir war überhaupt nicht bewußt, unter welcher nervlichen Belastung ich stand.«
    Vorsichtig jetzt. Ab hier balancierst du auf Glatteis.
    »Ich machte mein Praktikum an der Center Street Vocational Trades High«, fuhr Jim fort.
    »Ich kenne die Trades High School«, bemerkte Fenton.
    »Ein wirklich idyllisches Fleckchen unserer Stadt. Springmesser, Motorradstiefel, selbstgebastelte Pistolen im Spind, Erpresserbanden, die die anderen gegen Entrichtung einer Gebühr beschützen, und jeder dritte Schüler verkauft Rauschgift an die beiden anderen.«
    »Es gab da einen Jungen namens Mack Zimmerman. Ein sensibles Kind. Spielte Gitarre. Er war bei mir in einem Aufsatzkurs, und er hatte Talent. Eines Morgens kam ich herein, gerade als ihn zwei Jungen festhielten, während ein dritter seine Yamaha-Gitarre gegen den Heizkörper schlug.
    Zimmerman schrie. Ich brüllte sie an, sie sollten sofort damit aufhören und nur die Gitarre geben. Als ich auf sie zuging, traf mich ein Faustschlag.« Jim zuckte die Achseln.
    »Das war alles. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch.
    Keine Schreikrämpfe oder hysterischen Angstzustände. Ich konnte einfach nicht zurückgehen. Sobald ich auch nur in die Nähe der Schule kam, krampfte sich alles in mir zusammen. Ich konnte kaum atmen, mir brach der kalte Schweiß aus -«
    »Das kenne ich«, unterbrach ihn Fenton freundlich.
    »Ich entschloß mich zu einer Psychoanalyse. Es war eine Gruppentherapie. Einen Psychiater konnte ich mir nicht leisten. Sie half mir. Sally und ich haben inzwischen geheiratet. Sie hat von dem Unfall nur ein leichtes Hinken und eine Narbe zurückbehalten, sonst ist sie so gut wie neu.« Er sah die beiden Männer offen an. »Und ich glaube, das gleiche kann man auch von mir sagen.«
    »Sie haben dann Ihre Referendarzeit an der Cortez High School beendet, wenn ich richtig informiert bin«, stellte Fenton fest.
    »Da waren Sie aber auch nicht gerade auf Rosen gebettet«, fügte Simmons hinzu.
    »Ich wollte eine schwere Schule«, erklärte Jim. »Ich tauschte mit einem Kollegen, um auf die Cortez High zu kommen.«
    »Ein ›sehr gut‹ vom Fachbeauftragten der Schulbehörde und von Ihrem beurteilenden Lehrer«, bemerkte Fenton.
    »Ja.«
    »Und einen Durchschnitt von knapp unter 1 in den vier Jahren Ihres Praktikums.«
    »Die Collegearbeit hat mir Spaß gemacht.«
    Fenton und Simmons sahen einander an und erhoben sich.
    Jim stand ebenfalls auf.
    »Wir werden uns wieder bei Ihnen melden«, sagte Fenton.
    »Es kommen noch einige andere Bewerber …«
    »Ja, natürlich.«
    »… aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, kann ich Ihnen sagen, daß ich von Ihren Zeugnissen und Fähigkeiten sehr beeindruckt bin.«
    »Das freut mich zu hören.«
    »Sim, vielleicht hätte Mr. Norman gern einen Kaffee, bevor er geht.«
    Sie reichten sich die Hand.
    »Ich glaube, Sie haben die Stelle, wenn Sie sie wollen«, meinte Simmons draußen auf dem Korridor. »Das ist natürlich inoffiziell. Sprechen Sie also noch nicht darüber.«
    Jim nickte. Es gab noch eine ganze Menge anderer Dinge, über die er nicht sprechen wollte.
    Die Davis High School war ein abstoßender Steinklotz mit bemerkenswert modernen Einrichtungen - allein der naturwissenschaftliche Flügel war im Haushaltsbudget des vergangenen Jahres mit 1,5 Millionen Dollar veranschlagt worden. Die Klassenräume, in denen noch die Geister der WPA-Arbeiter unter Roosevelt, die sie gebaut hatten, und die der Nachkriegsschüler, die sie als

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